Schach-WM, Runde 11: Caruana hält mit Schwarz problemlos Remis
Dank einer exzellenten Vorbereitung konnte Fabiano Caruana heute Magnus Carlsens Zug 5.Sc3 in der russischen Verteidigung locker neutralisieren. Die kürzeste Partie der Weltmeisterschaft 2018 (nach Spielzeit - nicht nach Zügen) endete mit einem Remis und jetzt steht und nur noch eine Partie mit klassischer Bedenkzeit bevor. Viele rechnen schon mit einem Playoff am Mittwoch.
"Wenn ich in einer Eröffnung schon nachdenken muss, während er noch schnell spielt und die Partie dann Remis endet—dann ist das normalerweise nicht perfekt," sagte Carlsen nach der heutigen Partie. "Er war bis jetzt sehr gut vorbereitet und ich habe nicht viel erreicht. Das sind die harten Fakten."
Der amtierende Weltmeister beurteilte seine eigene Leistung schon immer brutal ehrlich. Er gab zu, dass er in seiner letzten Partie mit Weiß nichts erreicht hat und jetzt der Ball bei seinem Gegner liegt.
Der Handschlag vor der Partie. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Die heutige Partie erinnerte viele Schachfans an die letzte Weltmeisterschaft vor 2 Jahren in New York, als Carlsen die Welt überraschte, indem er sich im Grunde genommen auf seine Rapid / Blitz-Fähigkeiten im Tiebreak verließ und lange gar nicht auf Sieg spielte. Der Unterschied war jedoch, dass es heute sein Gegner war, der ihn daran hinderte, auf Sieg zu spielen.
Carlsens Gegner aus dem Jahre 2016, Sergey Karjakin, war dann auch heute tatsächlich in der Spielhalle. Da er und seine Frau gerade in London waren, hatte er die Einladung angenommen, den ersten Zug auszuführen. Er hat dann alle überrascht und Carlsen nicht gefragt, welchen Zug er haben wollte, sondern sofort 1.b4 gespielt.
Karjakin spielt bei seiner zweiten Weltmeisterschaft... | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
...1.b4! | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Das war natürlich nur ein Witz, der aber hervorragend gezündet hat. Weil Sotiris Logothetis das digitale Brett schon in Betrieb genommen hatte (zufälligerweise etwas früher als üblich), wurde der Zug auch sofort ins Internet und auf die Bildschirme im Zuschauerbereich übertragen, was natürlich zu einigem Gelächter unter den Zuschauern und Journalisten führte.
Hätte Karjakin 1.f4 gespielt, hätte er sich an Anish Giris Ratschlag gehalten. Der holländische Großmeister antwortete am Ruhetag ziemlich schnell auf einen Tweet von Magnus Carlsen:
Hoping for useful tweets for R11. pic.twitter.com/XWmi2IYiMw
— Magnus Carlsen (@MagnusCarlsen) November 23, 2018
Just don't go for the bird.
— Anish Giri (@anishgiri) November 23, 2018
Ich hoffe auf nützliche Tweets für die 11. Runde
-Magnus Carlsen
Spiel einfach nicht (die) Bird (-Eröffnung) (also 1.f4)
-Anish Giri
Wer hat jetzt aber Karjakin auf diese Idee gebracht? Eigentlich waren es gleich 2 Personen und einer davon ist ein ehemaliger Weltmeister! In diesem Interview verrät Karjakin wer es war:
Caruana sagte, er habe es genossen, den Orang-Utan auf dem Brett zu sehen. "Aber ich war auch glücklich, Sergey zu sehen", sagte er. "Es war eine nette Überraschung, ihn zu sehen. Ich wusste nicht, dass er hier sein würde."
Alle fanden es lustig. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
"Vielleicht hätte ich den Zug einfach stehen lassen sollen," sagte Carlsen nach der Partie. Um 3 Uhr Nachmittags entschied er sich jedoch dafür, den b-Bauern auf sein angestammtes Feld zurückzustellen und stattdessen, wie schon in der 6. Partie, den e-Bauern zwei Felder nach vorne zu ziehen. Carlsen hat somit bei dieser WM mit Weiß die folgenden Eröffnungszüge gespielt: 1.d4, 1.c4, 1.e4, 1.d4, 1.c4 und wieder 1.e4.
Caruana blieb seiner russischen Verteidigung treu und Carlsen versuchte es statt dem schüchternen Zug 4.Sd3 mit der absoluten Hauptvariante: 5.Sc3. Im Pressezentrum war ein Aufatmen zu hören: Wir bekommen eine Partie zu sehen! Tja...
Schluss mit Lustig: Wie spielt man gegen Caruanas russische Verteidigung? | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Caruana spielte die Variante 5...Sxc3 6.dxc3 Le7 7.Le3 0-0 (Nach 7...Sc6 geriet Caruana übrigens beim Sinquefield Cup 2018 gegen Carlsen in Schwierigkeiten) 8.Dd2 Sd7 9.0-0-0. Diese Stellung hatte er schon zwei Mal in seiner Karriere auf dem Brett und spielte jedes Mal 9...c6 statt 9...Sf6. Das war aber sicher keine Überraschung für seinen Gegner, besonders, weil dieser Zug schon in dem berüchtigten Video des Saint Louis Chess Clubs durchgesickert war.
Ok, pretty fascinating video from the Caruana camp. No blurring of positions or faces. And this frame... bad opsec or solid misinformation campaign? #CarlsenCaruanahttps://t.co/FbZQFmq0cf pic.twitter.com/ZuaVhHMIvq
— John Hartmann (@hartmannchess) November 13, 2018
Ok, ein ziemlich faszinierendes Video aus dem Caruana Camp. Kein verpixeln von Stellungen oder Gesichtern. Und dieser Eröffnungsbaum ... schlechtes Timing oder eine solide Fehlinformationskampagne?
Genau darauf wies Carlsen bei der Pressekonferenz auch hin: "Die 9...Sd7-f6 Variante war natürlich in dem Video, aber er hat mich trotzdem überrascht. Wenn das irgendwie eine Art Gambit war, dann hat das gut funktioniert."
Schon Caruanas nächster Zug 10...c5 überraschte Carlsen, der auf diesen Zug 10 Minuten lang nachdachte und dann 11.The1 spielte. Nachdem die Damen getauscht waren, dachte er weitere 12 Minuten über 15.Sh4 nach. "Ich komme ohne irgendein Problem zum Ausgleich. Ich weiß nicht, warum er diese Variante gespielt hat," sagte Caruana dazu.
Caruana bekam erneut seine Vorbereitung aufs Brett. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Erst im 15. Zug, als es darum ging, ob das sofortige 15...Sg4, oder das Vorbereiten dieses Zuges mit 15...Tfe8 genauer ist, musste der Amerikaner zum ersten Mal nachdenken. Sowohl GM Sam Shankland (in der Twitch Show von Chess.com) als auch GM Ian Rogers (im Pressezentrum) fanden Caruans Wahl, zuerst den Turm zu ziehen, gut. Sie sagten beide, dass sie nach diesem Zug keine Möglichkeit für Weiß sähen, dem Remis zu entkommen.
Sergey Karjakin on Game 11 of Carlsen-Caruana world title match in London: I looked at the 12.Kb1 and 13.c4 line but it didn't seem to me that White had anything. 12.Bg5 might also be a draw but it is much more fun.
— Ian Rogers (@GMIanRogers) November 24, 2018
Sergey Karjakin über die 11. Partie der Weltmeisterschaft zwischen Carlsen und Caruana in London: Ich sah mir die 12.Kb1 und 13.c4 Variante an und es scheint, als ob Weiß überhaupt nichts erreicht hätte. 12.Lg5 wäre wohl auch ein Remis, aber es würde mehr Spaß machen.
Als das zweite Turmpaar getauscht und ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern auf dem Brett erschienen war, rannten einige Fotografen sofort in den Spielsaal um einen guten Platz zu ergattern. Das Spiel sollte aber noch fast eine Stunde lang weitergehen.
Caruana fand eine exzellente Verteidigung indem er einen Bauern opferte um alle anderen Bauern optimal platzieren zu können. "Solange der Läufer den Königsflügel verteidigen kann, steht Schwarz ausgezeichnet," sagte GM Jon Speelman zu dieser Stellung.
Hier ist Partie Nummer 11 aus der Sicht von Alex Yermolinsky:
“Es war heute nicht viel los," eröffnete Carlsen die heutige Pressekonferenz. "Ich hatte gehofft ein wenig Druck ausüben zu können. Jeder Schachspieler kennt die berühmte Partie zwischen Ljubojevic und Karpov. Karpov hat so gewonnen, aber offensichtlich ist die Chance auf ein Remis sehr groß."
(Dieses Endspiel könnt ihr sogar als Übung hier auf Chess.com gegen den Computer spielen.)
Carlsen erwähnte heute eine klassische Partie von Anatoly Karpov. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
"Heute ist nicht besonders viel passiert," sagte Caruana. "15.Sh4 hat mich ein wenig überrascht"
Der Amerikaner wurde dann noch gefragt, ob er vor der Weltmeisterschaft, wenn er die Wahl gehabt hätte, einem WM-Kampf mit nur einer Partie, bei der er Weiß hat, zugestimmt hätte. Seine Antwort war Nein. "Ich will das ganze Prozedere erleben. Es wäre schade, wenn es die ersten 11 Partien nicht gegeben hätte. Meine Ausgangslage ist jetzt ganz gut. Also überhaupt nicht schlecht."
Caruana ist mit seiner Ausgangslage zufrieden. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Über die 12. Partie am Montag sagte er: "Was soll ich sagen? Es wird eine harte Partie werden. Die Spannung ist auf dem Höhepunkt. Wenn ich wissen würde, was passiert, würde ich es euch sagen."
Carlsen sagte, dass man diese Partie überhaupt nicht mit der 12. Partie von New York, als er Weiß hatte, vergleichen könnte: Psychologisch gesehen ist es natürlich ganz etwas anderes. Ich würde auch am Montag lieber Weiß haben."
Carlsen muss noch eine Partie mit Schwarz überstehen, bevor ihn die meisten wieder als Favorit ansehen werden. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Shankland sieht Carlsen auch nach dem heutigen Unentschieden noch als Favoriten, auch wenn er in der letzten Partie Schwarz hat: "Es ist ziemlich klar, dass Magnus bereit ist, mit Schwarz ein Risiko einzugehen. Aber seine Vorbereitung auf Sweschnikov ist nicht die beste."
Viele Fans hätten heute schon gerne eine Partie mit einem Sieger gesehen, aber unter denen, die die Spannung enorm genießen, ist Wesley So, der sich heute auch kurz in die Chess.com-Show eingeklinkt hat.
"Ich denke, dass dies eine der besten Weltmeisterschaften seit vielen Jahren ist", sagte er. "Ich sehe viele neue Ideen. Ich weiß, dass die Leute wirklich schockiert sein werden, um das zu hören!"
Da nur noch eine klassische Partie zu spielen ist, stehen die Chancen gut, dass wir ein Playoff sehen werden. Hier sind die Regeln:
Playoff Regeln
Sollte die Weltmeisterschaft nach 12 Partien remis stehen, werden 4 Tiebreak Partien ausgetragen. Diese werden als Schnellschachpartien mit einer Bedenkzeit von 25+10 gespielt.
Wird auch hier kein Sieger gefunden, werden 2 Blitzpartien gespielt (5+3). Sollte es nötig sein, noch zwei weitere. Falls nach 5 solcher Runden noch kein Sieger feststeht, wird eine Armageddon Partie gespielt. Per Los wird entschieden, welcher Spieler sich die Farbe aussuchen darf. Der Spieler mit Weiß erhält 5 Minuten Bedenkzeit und MUSS gewinnen. Der Spieler mit Schwarz erhält nur 4 Minuten Bedenkzeit, aber ihm reicht ein Remis zum Sieg. Ab dem 61. Zug erhalten beide Spieler für jeden Zug einen Zeitbonus von 3 Sekunden.
Mike Klein hat an diesem Artikel mitgewirkt.
Natürlich könnt ihr die Weltmeisterschaft live auf Chess.com verfolgen. Ferner findet ihr jeden Tag Berichte, Fotos und Analysen auf Chess.com/news.
Alle Partien könnt ihr auf Chess.com/wcc2018 nachspielen und die Live-Übertragungen mit unseren Kommentatoren IM Danny Rensch und GM Robert Hess findet ihr auf Twitch.tv/Chess oder Chess.com/TV. Die beiden werden außerdem abwechselnd von Schachgrößen wie Hikaru Nakamura, Maxime Vachier-Lagrave, Wesley So und Sam Shankland unterstützt.
GM Alex Yermolinsky wird jeden Tag ein Video mit den Höhepunkten des Tages veröffentlichen, welches ihr auf Twitch, YouTube, Facebook und Chess.com ansehen könnt.
US-Meister GM Sam Shankland wird jede Partie für euch analysieren.
Und an jedem Ruhetag wird euch GM Yasser Seirawan mit exklusiven Videos für Chess.com Mitglieder unterhalten
I tried to spice it up with 1.b4, but @MagnusCarlsen was boring today!😏😜😀
— Sergey Karjakin (@SergeyKaryakin) November 24, 2018
Thanks @photochess for the photos and for idea!😜 And thanks to @vishy64theking who also suggested me 1.b4!😀 pic.twitter.com/9iMCnqqJEx
Its nice when the youth heed to experience! Well done @SergeyKaryakin ! https://t.co/Q90V6FKFCV
— Viswanathan Anand (@vishy64theking) November 25, 2018
Ich wollte mit 1.b4 etwas Würze in die Partie bringen, aber Magnus Carlsen war heute langweilig! Danke an Maria Emelianova für die Fotos und die Idee und Danke an Vishy Anand für den Vorschlag für 1.b4!
-Sergey Karjakin
Es ist doch toll, wenn die Jugend die Ratschläge befolgt. Gut gemacht, Sergey Karjakin
-Viswanathan Anand
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