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Der Frosch im Kochtopf

Der Frosch im Kochtopf

Gserper
| 97 | Strategie

Lasst mich diesen Artikel mit einem Haftungsausschluss beginnen. Auch wenn der Titel vielleicht unheimlich klingt, kann ich Euch versichern, dass kein Frosch oder irgendein anderes Tier wegen dieses Artikels verletzt wurde. Es ist nur eine Metapher!

Hier ist ein Auszug aus Daniel Quinns Roman "The Story Of B":

Wirft man einen Frosch in einem Topf mit heißem Wasser, so wird er sich spielend leicht mit einem kräftigen Sprung befreien. Setzt man den Frosch jedoch in einen Topf mit kühlem Wasser, wird sich der Frosch wohlfühlen. Stellt man jetzt den Topf auf eine wärmende Fläche, wird sich das Wasser langsam erwärmen und der Frosch merkt das anfangs gar nicht. Er wird nur müde und kann sich schließlich nicht mehr aus dem heißen Wasser befreien. Er hat nicht bemerkt, dass seine Sprungkraft durch die Erwärmung geschwunden ist.

Ich möchte Euch eine Partie zeigen, die zwischen 2 Großmeistern gespielt wurde, und die Weiß in nur 16 Zügen gewann.

Schwarz hat aber alle Eröffnungsprinzipien beachtet, war voll entwickelt und hatte auch rochiert. Er hat auch nichts eingestellt und musste trotzdem nach 16 Zügen aufgeben!

Wie ist das möglich? 

Beginnen wir mit der Eröffnung. Die ersten 3 Zügen waren 1.d4 d5 2. e3. 

Diese Linie führt normalerweise zu einem langsamen und positionellen Spiel. Es gibt aber eine Variante namens "Stonewall" (zu deutsch: Steinmauer), bei der Weiß im Zentrum mit seinen Bauern eine echte Mauer errichtet: 

Für einen unerfahrenen Spieler sieht dieser Aufbau nach der perfekten Verteidigung aus. 

A stone wall

Es sieht wirklich so aus, als ob Weiß im Zentrum eine Mauer, die allen Angriffen standhält, errichtet hätte. In Wahrheit verfolgt Weiß aber ein sehr ehrgeiziges Ziel, denn er bereitet einen direkten Angriff auf dem Königsflügel vor und besonders der Läufer auf d3 und der gefährliche Springer auf e5, der von den Bauern auf d4 und f4 unterstützt wird, spielen dabei eine entscheidende Rolle 

Sehen wir uns an, die die Partie weitergehen könnte, wenn Schwarz die Gefahr nicht erkennt:

Jetzt seht Ihr, wie trügerische diese Eröffnung sein kann. Alles sieht nach einem ruhigen und sicheren Aufbau aus und aus heiterem Himmel wird der schwarze König Matt gesetzte!

In den meisten aggressiven Eröffnungen, wie in der Sizilianischen Verteidigung, ist sich der Gegner ja durchaus der Gefahren bewusst und spielt deshalb extrem genau. In der Stonewall Eröffnung erkennt Schwarz oft erst die Gefahr, wenn es bereits zu spät ist.

Schwarz ist also der Frosch - und Weiß will die Temperatur so langsam erhöhen, dass Schwarz nicht merkt, dass das Wasser bereits kocht! 

Gegen die frühen Schachcomputer war diese Strategie sehr erfolgreich. Aufgrund des sogenannten "Horizonteffekts" konnten geübte Spieler die noch nicht ausgereiften Schachprogramme regelmäßig "kochen"!

Der Großmeister Richard Reti war einer der führenden Eröffnungsexperten seiner Zeit und nach ihm wurde sogar eine Eröffnung benannt. Als einer der besten Spieler dieser Zeit, GM Akiba Rubinstein, die Mauer errichtete, erkannte Reti die Gefahr sofort! 

Um den kommenden Angriff zu stoppen, entschied sich Schwarz dafür, eine Figur von Weiß aus dem Aufbau zu nehmen: den Läufer auf d3! Ratet mal, wie Rubinstein auf den Trick von Schwarz reagierte.


Ja, anstatt des natürlichen Schlagens mit der Dame nahm Rubinstein freiwillig einen Doppelbauern in Kauf. Aber warum? Zum einen wird dadurch seine "Mauer" im Zentrum noch massiver aber noch wichtiger war es ihm, das Loch auf e4 zu stopfen und dem schwarzen Springer auf f6 dieses Feld zu nehmen! 

Die nächste Frage solltet Ihr jetzt bereits ziemlich leicht beantworten können. Wie soll Weiß hier fortsetzen?

Mit jedem Zug erhöht Weiß die Temperatur, sodass Schwarz langsam aber sicher in Trance fällt und wegen der unangenehmen Drohung von Lh4 den Springer auf e5 schlägt. Aber natürlich kann die Öffnung der f-Linie für den schwarzen König nicht gesund sein.

Wer findet jetzt Rubinsteins finale Kombination?

Es ist erstaunlich, wie langsam Weiß seine Figuren in den Angriff auf den schwarzen König einbindet und Schwarz trotzdem nichts dagegen tun kann! Das Wasser wird wärmer und wärmer und mit jedem Zug schwinden Schwarz die Kräfte! 

Das ist jedoch nicht die ausgeklügeltste Eröffnung und ihr solltet nicht erwarten, dass sie Magnus Carlsen einmal spielen wird. Bis zu einem gewissen Level kann es jedoch sehr gefährlich sein, den schwarzen König langsam weichzukochen. 

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