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Kramnik und Kasparov: Das Ende einer Ära

Kramnik und Kasparov: Das Ende einer Ära

Gserper
| 54 | Schachspieler

Vladimir Kramniks Rücktritt vom Schach schockierte die Schachwelt. Viele Schachfans hatten sogar ein deja vu. Und tatsächlich gibt es eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Rücktritt von Garry Kasparov von vor 14 Jahren.

Seltsamerweise verloren beide Spieler ihre letzte Partie durch eine Art Selbstmord auf dem Schachbrett:

Natürlich gibt es aber einen großen Unterschied zwischen den beiden Rücktritten. Als Kasparov seinen Rücktritt verkündete, gewann er sein letztes Turnier und war immer noch die Nummer eins der Welt, was sich völlig von Kramniks Fall unterscheidet.

Außerdem kam Kasparovs Ankündigung völlig aus heiterem Himmel, während Kramnik in den letzten 5-6 Jahren immer wieder darauf hinwies, dass er kurz vor dem Ende seiner professionellen Schachkarriere stehen würde. Obwohl uns Kramnik lange auf diesen Tag vorbereitet hat, ist es trotzdem ein großer Verlust für den Schachsport..

Garry Kasparov
Garry Kasparov. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Es gibt unzählige Bücher und Artikel über Kramnik und daher werde ich keine bekannten Fakten, wie etwa wann Vladimir geboren wurde oder wann er seinen GM-Titel erhielt, wiederholen. Stattdessen möchte ich Euch über Kramniks Einfluss auf mein Schach berichten und warum seine Entscheidung, seine Karriere zu beenden, wirklich das Ende einer Ära ist.

Zum ersten Mal stolperte ich über seinen Namen, als ich die folgende Partie sah. Ich suchte nach einer Waffe gegen 1.d4, die Schwarz eine Angriffsstellung geben würde und im Gegensatz zu einigen Eröffnungen, wie der Königsindischen Verteidigung, nicht zu viel Theorie zum Auswendiglernen erfordern würde. Das Budapester Gambit war eine der Eröffnungen, die ich in Betracht zog. Und da fiel mir eine Partie, die in einem sowjetischen Schachmagazin veröffentlicht wurde.

Die schwarze Idee einer Turmüberführung war relativ neu und die ganze Partie machten einen sehr starken Eindruck auf mich. Natürlich habe ich mir auch den Namen dieses Spielers gemerkt.

"Dieser Junge kann wirklich Schach spielen!" dachte ich über den 12 Jahre alten Kramnik.

Zwei Jahre später hatte ich dann die Gelegenheit, gegen Kramnik zu spielen. Es war ein Qualifikationsturnier für die Europäische Juniorenmeisterschaft. Ich habe dort nur 2 Remis abgegeben und das Turnier locker gewonnen.

Eigentlich war es viel schwieriger gewesen, bei diesem Turnier mitspielen zu dürfen, als es zu gewinnen, denn der damalige Jugendleiter des sowjetischen Schachverbands, Anatoly Bykhovsky, benutzte seinen üblichen Satz um mich an der Teilnahme zu hinder: "Serper ist kein guter Schachspieler". Und das, obwohl ich nur ein Jahr zuvor bei der Juniorenweltmeisterschaft den geteilten ersten Platz belegt hatte.

Über diesen Typen, der über 40 Jahre lang der Alleinherrscher der Jugendabteilung des sowjetischen Schachverbandes war, habe ich vor einigen Jahren diesen Artikel geschrieben. Eigentlich sollte ich mich aber gar nicht viel über Bykhovskys Verhalten beschweren, denn als er mich einen schwachen Schachspieler nannte, gab mir das eine zusätzliche Motivation und ich hatte meinen großen Durchbruch. Nach dem Gewinn des Qualifikationsturniers gewann ich die Junioren-Europameisterschaft mit 1,5 Punkten Vorsprung vor Spielern wie Topalov, Van Wely, Dreev und anderen künftigen Schachstars.

Einer der beiden Spieler, die mir bei der Qualifikation zur Junioren-EM ein Remis abringen konnten, war Kramnik. Ich hatte Schwarz und spielte die sizilianische Drachenvariante. Trotz seines jungen Alters spielte Vladimir eine ziemlich positionelle Variante, bei der Weiß auf den Königsflügel rochiert und nach einigen Manövern einigten wir uns auf ein Remis. Leider kann ich diese Partie nirgends in den Datenbanken finden, aber ich erinnere mich noch genau an Vladimirs reifen Spielstil. Als wie die Partie danach zusammen analysierten, beeindruckte mich Kramnik sogar noch mehr. Die Art und Weise wie er seine eigenen Züge beurteilte ließ keinen Zweifel daran, dass ich mich gerade mit einem Megatalent unterhielt.

Vladimir Kramnik.
Vladimir Kramnik. | Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Weitere zwei Jahre später spielten wir unsere zweite Partie und wieder hatte ich Schwarz. Es war die sowjetische Meisterschaft für Titelträger unter 26 Jahren. Es war eine komische Partie, denn sie dauerte nur 16 Züge und es gab gleich zwei Remisgebote! Zuerst war es Kramnik, der mir im 12. Zug Remis anbot. Ich lehnte zwar ab, aber mir wurde sehr bald klar, dass meine Stellung nicht so gut war, wie ich dachte. Also bot jetzt ich ein Remis an und Kramnik akzeptierte das Angebot. Hier ist die Partie:

Dieses Turnier war Kramniks erster großer Erfolg. Er holte sich den ersten Platz und spielte eine Reihe bemerkenswerter Partien. Hier ist eine Partie von Kramnik, die so interessant war, dass sie mich wirklich von meiner eigenen Partie ablenkte!

Während eines freien Tages zeigte mir Kramnik ein interessantes Konzept in der englischen Eröffnung. Es war kein neuer Zug oder eine neue Variante, sondern nur ein allgemeines Konzept, um eine bestimmte Stellung zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits drei Jahre lang die englische Eröffnung gespielt und eine ganze Reihe von Büchern über diese Eröffnung gelesen. Was mir Kramnik in nur 10 Minuten zeigte, war ein wahrer Augenöffner. Viele Jahre später wurde die Fähigkeit, neue Eröffnungskonzepte zu erstellen, zu Kramniks Markenzeichen. Er machte aus dem Zug 1.Sf3 eine gewaltige Eröffnungswaffe und erschuf auch die Berliner Mauer.

Kramnik hat die Berliner Variante in der Spanischen Eröffnung natürlich nicht erfunden, denn sie war schon seit mehr als 100 Jahren bekannt. Aber genau wie bei der Variante der englischen Eröffnung, die er mir gezeigt hatte, war Kramniks Berlin keine bestimmte Linie, sondern eher ein völlig neues Konzept.

Glücklicherweise konnte ich gleich noch in diesem Turnier von Kramniks Lehrstunde profitieren:

Im Laufe der Jahre sollte ich noch viele Partien mit dieser Variante gewinnen. Unter anderem die Partie, die mir half, mir meine erste GM Norm zu erspielen!

Dank des Erfolges bei diesem Turnier wurde Kramnik eingeladen, für die sowjetische Mannschaft an der Weltmeisterschaft der Studententeams 1991 teilzunehmen. Und das, obwohl Vladimir noch ein Schüler war. Laut des Buches  Прорыв (Der Durchbruch), das Kramnik und Damsky 2000 geschrieben haben, wurde diese Teilnahme durch einen einfachen Trick ermöglicht. Die Regierung stellte Kramnik kurzerhand einen gefälschten Studentenausweis aus. Dem Buch zufolge war Kramnik nicht der einzige Teilnehmer in diesem Turnier mit einer gefälschten ID und dies war wahrscheinlich einer der Gründe, warum dieses Turnier, das von den 1960er bis in die 1980er Jahre sehr beliebt war, einfach von der Bildfläche verschwand.

Mittlerweile hatte Kramnik damit begonnen, bei offenen Turnieren in Europa zu spielen. Diese Turniere waren für Schachspieler aus der ehemaligen Sowjetunion sehr lukrativ. Nach dem Zusammenbruch des Riesenimperiums befand sich die Wirtschaft in einem desolaten Zustand und selbst wenn man nur ein paar Dutzend Dollar in der Tasche hatte, konnte man in Russland wie Rockefeller leben! Durch einen unglaublichen Wechselkurs für den permanent fallenden Rubel wurde alles extrem günstig, was man in harter Währung bezahlte.

Ich erinnere mich daran, dass mich Kramnik einmal fragte, ob ich ein Open in Gausdal spielen würde. Ich antwortete ihm, dass ich dieses Turnier wirklich mochte, nicht zuletzt, weil ich mir dort auch meine zweite GM Norm erspielt hatte, aber leider schon etwas anderes vorhatte.

"Und was ist mit Dir?" fragte ich Kramnik.

"Meinst Du das Ernst?" antwortet er. "Das Flugticket von Moskau nach Oslo kostet doch nur sechs Dollar!"

In diesem Turnier gelang Kramnik eine wirklich tolle Miniatur-Partie:

Im nächsten Teil dieses Artikels werden wir sehen, wie aus einem jungen 17-jährigen Schachtalent ein echtes Schachmonster wurde!

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