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Des einzige Problem im Schach960
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Des einzige Problem im Schach960

Gserper
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Yogi Berra war ein US-amerikanischer Baseballspieler, der neben seiner herausragenden Baseballkarriere auch durch seine humoristischen und teilweise provokativen Zitate, den sogenannten „Yogiisms“, berühmt wurde. Berra hat über die Jahre so viele berühmte Zitate produziert, dass sogar Aussprüche anderer Personen, die denen Berras ähnlich sind, Yogiisms genannt werden. Zwei Beispiele dafür sind "It ain’t over till it’s over" (Es ist nicht vorbei, bis es vorbei ist)" oder "Nobody goes there anymore. It's too crowded" („Da geht schon lange keiner mehr hin, dort ist es zu voll). Als ich dann diesen Satz von Alexander Grischuk las, musste ich unweigerlich an Yogi Berra denken:

Ich sehe keine Nachteile im Schach960. Das einzige kleine Manko ist die Anfangsstellung. Ansonsten gibt es nur Vorteile.

Wenn man bedenkt, dass die Anfangsstellung der einzige Unterschied zwischen Schach960 und klassischem Schach ist, hat Grischuk hier offensichtlich eine Schachversion eines Yogiisms kreiert.

Yogi Berra. Foto: Wikimedia.

Wie ich bereits  in einem vor 2 Jahren verfassten Artikel zugegeben habe, ist der einzige Grund, warum ich mir Schach960-Turniere ansehe, die Teilnahme von Garry Kasparov und deshalb konnte ich auch den jüngsten Champions Showdown unmöglich verpassen. Ich habe jedoch eine wesentliche Änderung in der Art und Weise vorgenommen, wie ich die Partien betrachte. In dem oben genannten Artikel schrieb ich: "Ich möchte Euch jetzt den Trick verraten, den ich benutzt habe, um der Veranstaltung zu folgen. Wenn man die ersten 15 Züge überspringt, fangen die Partien an, dem normalen Schach zu ähneln." Dieses Jahr habe ich mir die Partien aber von Anfang an angesehen. Ich weiß, dass ich Euch hierfür eine Erklärung schulde: Mein Lieblinsautor Sergey Dovlatov schrieb in einem seiner besten Romane "A Foreign Woman" (eine fremde Frau):

"New York war für Marusya vor allem ein Spektakel wie ein Konzert oder ein Theater. Erst nach ein oder zwei Monaten wurde es eine Stadt. Allmählich enthüllte das Chaos Zahlen, Farben und Geräusche. Die laute und belebte Kreuzung zerfiel plötzlich in ihre Bestandteile: ein Supermarkt, eine Cafeteria, eine Versicherungsagentur, ein Feinkostladen..."

Genau wie Marusya offenbarten sich mir in einer hässlichen Anfangsstellung des Schach960 plötzlich Cafeterien und Delikatessen. Lasst mich Euch zeigen, was ich damit meine. Hier ist eine alte, wenig bekannte Partie von GM Bent Larsen:

Es ist eine wunderschöne Partie, aber was mir am besten gefällt, ist die Falle im vierten Zug. Könnt Ihr den Grund finden, warum Schwarz nicht einfach den g2-Bauern geschlagen hat?

Wenn man diesen Trick kennt, ist es einfacher, die starke taktische Idee zu finden, die Kasparov bereits im zweiten Zug übersehen hat! Er hätte die Partie zwar nicht gewonnen, aber er war trotzdem genial:

Die Partie ging dann so weiter:

Trotzdem war ich aber glücklich, dass in der Partie, auf die ich mich am meisten gefreut hatte, die Anfangsstellung sehr nah am regulären Schach lag. Nur der Läufer und die Dame hatten ihre Plätze getauscht. Und so war es keine große Überraschung, dass die Partie ziemlich bald wie ein ganz normales angenommenes Damengambit aussah, in der Kasparov einen bekannten g2-g4 Vorstoß spielte. Carlsen bot im Gegenzug einen Läufertausch an.

Diese Strategie kennen wir schon aus dieser berühmten Partie:

Genau wie Spassky ergriff auch Carlsen nach dem Läufertausch die Initiative und erspielte sich eine Gewinnstellung. Aber dann ging etwas schief:

Um die Schlüsselideen des resultierenden Endspiels zu verstehen, sehen wir uns diese legendäre Partie zwischen Botvinnik und Fischer an.Der letzte Trick dieses Spiels, in dem Botvinnik sich mit Fischers verbundenen Freibauern auf der a- und b-Linie herumschlagen musste, ist bekannt.Anstatt den wehrlosen g6-Bauern zu erobern, spielte Botvinnik h4-h5!Dies war eine Idee, die GM Geller bei der Analyse dieser Stellung gefunden hatte.

Aber der lehrreichste Moment dieser Partie geschah schon etwas früher. Das sagte Botvinnik zu Fischers Zug 40...Kg5:

Endspiel-Experten wie Capablanca oder Smyslov hätten Ihren König sofort nach d6 gezogen, um den Springer auf c5 zu beschützen. Danach hätte der Bauernvorstoß am Damenflügel die Partie schnell entschieden.
- Mikhail Botvinnik

In der Tat hat Schwarz einen überzähligen Bauern am Damenflügel und daher sollte der König dorthin ziehen, um den Vormarsch dieser Bauern zu unterstützen. Sehen wir und jetzt wieder die Partie Kasparov gegen Carlsen an. Der Weltmeister hätte Botvinniks alten Ratschlag gut gebrauchen können und seinen König mit 42...Kd7 auf den Damenflügel ziehen sollen! Stattdessen erlaubte er Kasparov, die Partie durch den "magischen" Botvinnik-Zug h4-h5 zu retten! Beachtet auch den sehr genauen Zug 45.Te5! mit dem Kasparov den schwarzen König vom Damenflügel abschneidet.

Wie ich schon in einem früheren Artikel geschrieben habe ist Garry der wahre König Midas des Schachs, denn egal welches Schachthema er berührt, er verwandelt es in Gold. Er hat es geschafft, das Unmögliche zu schaffen: Ich habe eine Schach960 Partie wirklich genossen! Mag ich jetzt Schach960? Nun, lasst es mich so sagen: Im vergangenen Sommer befand sich ein Elektroautohersteller Tesla in einer schwierigen finanziellen Situation. Der Hashtag @TSLAQ war ein Trend auf Twitter, der einen unvermeidbaren Bankrott andeutete. Aber ein Finanzanalyst hat Stellung bezogen und sein Rating für Tesla von "Klarer Verkauf" auf " Verkaufen" angehoben. Ausgehend von seinem Vorbild habe ich mein persönliches Rating für Schach960 von "starke Abneigung" auf "Abneigung" angehoben.

Es wäre interessant, Eure Meinung über Schach960 zu erfahren. Die wichtigste und einzige Idee dieser Schachvariante ist es, die Eröffnungstheorie zu vermeiden. Während das bei Superturnieren, bei denen Top-Spieler viele Eröffnungsvarianten bis zum Endspiel analysiert haben, durchaus sinnvoll ist, ist dies für mehr als 90% der Schachspieler aber kaum ein Problem. Bitte teilt mir in den Kommentaren mit, ob Euch Schach960 gefällt oder nicht.

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