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Frank Marshall: Der Aufstieg einer Schach-Legende

Frank Marshall: Der Aufstieg einer Schach-Legende

Silman
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Sprechen wir über Frank Marshall. Dieser Mann war von 1909 bis 1936 US-Schach-Meister. Er war ein Mann, der Emanuel Lasker einmal und Capablanca zweimal geschlagen hatte. Ein Spieler, der vor Nichts und niemandem Angst hatte. Er gewann viele Turniere bei denen die stärksten Spieler der Welt mitspielten. Er war ein amerikanischer Held, der davon träumte, Schachweltmeister zu werden.

Aber beginnen wir einfach von Anfang an.

Frank wurde 1877 in New York geboren und als er 8 Jahre alt war, zog seine Familie nach Chicago, wo er 11 Jahr lang lebte. Anders als die heutigen extrem jungen Großmeister brauchte Marshall eine ganze Weile, um "aufzublühen". Erst in seinen frühen 20ern (1899), als er ein Turnier in London gewann, wurde die Schachwelt auf ihn aufmerksam und bekam einen, wie Marshall es ausdrückte, "internationalen Ruf".

1893

Der 15-jährige Marshall fordert Steinitz & Pillsbury

Ok, das waren Simultanpartien. Und ja, Pillsbury hatte auch die Augen verbunden. Beide Schachgrößen bekamen aber einen Vorgeschmack dessen, was sie einige Jahre später noch erwarten würde.

Diese Partien waren aber für den jungen Marshall und für die Fans, die ihn verstehen wollen, sehr wichtig. Abgesehen davon, dass er gegen so berühmte Spieler gespielt hat (Er muss sehr, sehr aufgeregt gewesen sein!), zeigen diese Partien, wie sehr seine Spielweise auf Angriff und Taktik ausgelegt war (sein taktisches Talent kann man bei fast jedem Zug erkennen) und scheinbar überhaupt kein Positionelles Verständnis hatte.

Stellt Euch mal vor, ihr würdet mit verbundenen Augen gegen mehrere Spieler simultan antreten. Das ist wirklich alles andere als leicht!

1900

Paris

Nach seinem ausgezeichneten Ergebnis in London 1899 durchlief er einige Höhen und Tiefen, aber in Paris (17. Mai bis 20. Juni 1999) lief er wieder zur Höchstform auf. Marshall erspielte sich dort 12 Punkte und teilte sich mit Geza Maroczy den 3. Platz. Zweiter wurde Pillsbury (12,5 Punkte) und Emanuel Lasker gewann das Turnier mit 14,5 Punkten. Dahinter folgten Spieler wie Amos Burn, Mikhail Chigorin, Carl Schlechter, Georg Marco, Jacques Misses, Jackson Showalter und David Janowski (er wurde als Dawid geboren, aber heutzutage wird David benutzt). Der Höhepunkt des Turniers war natürlich Marshalls Sieg gegen Lasker!

Marshall hat dieses Endspiel sehr gut gespielt, aber es ist gar nicht so bekannt, dass Mashall in Endspielen wirklich sehr geschickt war.

Marshalls Notizen zur nächsten Partie (ebenfalls aus dem Turnier in Paris) sind urkomisch! Deswegen überlasse ich Marshall selbst die Bühne:

"Der Brite Amos Burn war ein sehr konservativer Spieler und fühlte sich in langen, defensiv geführten Partien, so richtig wohl. Er liebte es, seine Pfeife zu rauchen, während er das Brett studierte. Als ich den zweiten Zug gemacht hatte, begann Burn in seinen Taschen nach seiner Pfeife und seinem Tabak zu suchen."

1901

Monte Carlo

Danach spielte Marshall ein Turnier in Monte Carlo. Man hätte jetzt denken können, dass Marshall nach seinem Triumph in London und nach dem tollen Turnier in Paris jetzt weiterhin zeigen würde, dass er "der Mann" war. Stattdessen erfüllte er aber nicht die Erwartungen und teilte sich mit Gunsberg lediglich den 8. Platz. Janowski gewann das 13 Runden Turnier mit einem beeindruckenden Ergebnis von 10 Punkten, während sich Von Scheve, Chigorin und Schlechter mit hervorragenden 9 Punkten den zweiten Platz teilten.

Hier ist eine Partie, in der Marshall Blackburne schon überspielt hatte, aber dann im 17. Zug auseinander fiel.

Buffalo

Bei seinem nächsten Turnier in Buffalo erlebte Marshall ein wahres Desaster. Bei dem Turnier standen 6 Teilnehmer am Start und Marshall belegte den 5. Platz. Am Ende standen 7 Niederlagen, 1 Remis und 2 Siege gegen den letzten, Louis Karpinski, zu Buche. Pillsbury gewann das Turnier mit 2.5 Punkten Vorsprung auf die zweitplatzierten Delmar und Napier.

Ich glaube fast, dass er krank gewesen ist, denn anders kann ich mir seine schrecklichen Partien nicht erklären. Hier ist ein Beispiel:

1902

Monte Carlo

Trotz seines schlechten Abschneidens 1901 trat Marshall ein Jahr später erneut in Monte Carlo an und wieder reichte es nur zum 9. Platz. Turniersieger wurde Maroczy vor Pillsbury, Janowski, Teichmann, Schlechter, Tarrasch, Wolf und Chigorin. Immerhin konnte er aber auch 11 Spieler hinter sich lassen und seine Leistung war alles andere als eine Katastrophe.

Hier ist sein Sieg gegen Carl Schlechter bei dem Marshall das Gambit spielte, das heute seinen Namen trägt (das Marshall Gambit).

London:  Marshall findet seine Form wieder

Ich glaube, diese Partien haben ihm geholfen wieder in die Spur zu finden und Selbstvertrauen zu erlangen.

Einen 6-Partien Vergleich in London gegen William Ward, gewann Marshall mit 4:2, wobei alle Partien mit Siegen endeten.

Einen 5-Partien Vergleich gegen Richard Teichmann, gewann Marshall mit 3.5 : 1.5 und verlor dabei keine einzige Partie.

Diese Partie zeigt seine positionellen Fähigkeiten und beweist, dass es nicht in jeder seiner Partien um Taktiken, Taktiken und noch mehr Taktiken ging.

Hier war Marshall dann in Bestform:

DSB Kongress

Dies war ein erneuter Rückschlag. Marshall landete gemeinsam mit Rudolf Swiderski auf dem geteilten neunten Platz. Janowsky gewann, Pillsbury wurde Zweiter und Henry Atkins Dritter.

1903

Monte Carlo

Siegbert Tarrasch gewann das Turnier. Geza Maroczy wurde Zweiter; Harry Nelson Pillsbury  Dritter (Marshall erzielte bei diesem Turnier einen Sieg und ein Remis) und Marshall beendete das Turnier auf dem 9. Platz. Ich glaube hier ein Muster entdeckt zu haben! Er wurde bei den Turnieren in Monte Carlo 1901, 1902 und 1903 Neunter und beim DSB Kongress Neunter und Zehnter. Was sagt uns das? Es bedeutet, dass er immer noch ein junger, aufstrebender Spieler war und seine beste Zeit noch vor sich hatte.

Die folgende Partie hat er gegen Colonel Moreau gewonnen, der bei diesem Turnier mit 0 Siegen, 0 Remis und 26 Niederlagen Letzter wurde. Warum habe ich ausgerechnet diese Partie gewählt? Aus zwei Gründen: Diese Königsgambit-Variante ist sehr selten und Marshall verkündete nach dem 20. Zug von Schwarz ein Matt in 11!

Wiener Gambit Turnier

Diese Partie wurde beim Wiener Gambit Turnier 1903 gespielt. Das war ein Thementurnier, bei dem die Züge 1.e4 e5 2.f4 exf4 vorgegeben waren. Ich glaube, dass so ein Turnier auch heute noch bei Spielern und Zuschauern gleichermaßen viel Spaß machen würde!

Chigorin gewann das Turnier vor Marshall. Marco wurde Dritter und Pillsbury Vierter; des weiteren haben Mieses, Maroczy, Teichmann, Swiderski, Schlechter und Gunsberg bei diesem Turnier mitgespielt.

Bevor ich euch jetzt seine Partie gegen Chigorin zeige, will ich euch ein Puzzle zum Lösen geben. Die Partie stammt aus Glasgow 1903 und Weiß hat einen sehr seltsamen Triple-Bauern, von dem ich einfach nicht meine Augen lassen kann!

Puzzle 1

Die nächste Partie zeigt, dass Marshall auch ein Zocker war. Manchmal ignorierte er einfach den besten Zug um eine interessantere, taktische Stellung aufs Brett zu bringen. Was mir hier aber schon wieder ins Auge sticht sind erneut: Triple-Bauern!

Hier ist ein weiteres Beispiel für den Wahnsinn, der im Königsgambit entstehen kann:

1904

Monte Carlo Rice Gambit

Bei diesem Turnier traten 6 Spieler in einer Doppelrunde gegeneinander an und Marshall gewann das Turnier zusammen mit Swiderski. Mieses wurde Dritter, Marco Vierter und Von Scheve Fünfter. Forgacs belegte den letzten Platz.

Monte Carlo

Auch dies war ein Doppelrunden-Turnier für 6 Spieler. Marshall wurde Dritter, aber die ersten 3 Plätze waren eng zusammen (Maroczy 7.5 Punkte, Schlechter 7 und Marshall 6.5) und erst mit großem Abstand folgten die restlichen drei Spieler.

Cambridge Springs

Obwohl Marshall in einer großartigen Form war, zeigten seine letzten Turniere auch, dass er ein ganz neuer Marshall war. War er das wirklich? Da der Weltmeister (Lasker) dieses Turnier mit ziemlicher Sicherheit gewinnen würde, war Marshall in dieser Form maximal ein Anwärter auf einen der ersten fünf Plätze (bei diesem Turnier nahmen sechzehn Spieler teil). Niemand konnte ahnen, dass das Cambridge Springs-Turnier (das größte internationale Schachturnier in Amerika im 20. Jahrhundert) sein ganz großer Durchbruch werden würde! Er gewann die Veranstaltung mit einem erstaunlichen (und ungeschlagenen) Ergebnis von 13:2 (eine seiner vier Remispartien war gegen Lasker). Lasker erzielte 11 Punkte und wurde zusammen mit Janowski Zweiter, während der Rest des Feldes (unter anderem Marco, Showalter, Schlechter, Chigorin und Pillsbury) weit zurück lag.

In der öffentlichen Wahrnehmung avancierte er von einem wilden und talentierten Taktiker zu einem potenziellen Weltmeister!

Was braucht es jetzt um Weltmeister zu werden? Talent, harte Arbeit und eine unglaubliche Ausdauer.

Puzzle 2

Puzzle 3

Puzzle 4

Puzzle 5

Puzzle 6

Schwarz ist ganz klar am Gewinnen und hat viele starke Züge zur Auswahl. Wer findet den überraschendsten Zug?

In nächsten Artikel werden wir uns noch mehr Partien von Frank Marshall ansehen.

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