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Mach Dir Deine eigene Eröffnungstheorie
What's your special chess opening?

Mach Dir Deine eigene Eröffnungstheorie

Gserper
| 107 | Eröffnungstheorie

"Jeder starke Schachspieler sollte seine eigene Eröffnungstheorie haben, die sich von der Mainstream-Theorie unterscheidet."

Dies ist eine der wichtigsten Regeln, die ich als Schüler von Weltmeister Mikhail Botvinnik in der berühmten Botvinnik-Kasparov-Schule gelernt habe.

Und dann fügte er noch gerne hinzu: "Je unverschämter Eure persönliche Eröffnungstheorie sein wird, desto besser werden auch Eure Ergebnisse sein". Als Beispiel führte er seine frühen Erfolge mit der später als Botvinnik-Variante bekannten Variante in der Halbslawischen-Verteidigung an. Anfangs dachten seine Gegner, diese ungewöhnliche Eröffnung könnte nur Müll sein und nahmen sie nicht ernst. Aber Botvinnik gewann mit seiner Variante Partie um Partie. Die Situation änderte sich erst nach Botvinniks berühmter Partie gegen GM Denker, in der der US-Champion in seine Einzelteile zerlegt wurde:

Nach dieser Partie wurde die Variante nach Botvinnik benannt und von den weltbesten Spielern ausgiebig analysiert und zum Mainstream. Infolgedessen hat sie Botvinnik fast nie mehr gespielt!

Machen wir einen Sprung in die Gegenwart und entdecken eine sehr ähnliche Situation. Der junge russische Großmeister Daniil Dubov hat erst kürzlich Magnus Carlsen mit der sehr alten Philidor-Verteidigung besiegt. Bei einem Vortrag für Schachfans in Moskau erklärte er seine Eröffnungswahl. Ich hoffe wirklich, dass diese Fragestunde noch ins Englische übersetzt wird, denn sie ist sehr Unterhaltsam und Lehrreich. Daniil bewies dabei, dass er nicht nur stark, sondern auch sehr klug und witzig ist. Und wenn ich ihn stark nenne, meine ich nicht nur im Schach. Oder schafft Ihr das auch?

Vor ein paar Jahren habe ich viel Kritik bekommen, weil ich die ehemalige Damen-Weltmeisterin Mariya Muzychuk als klug und schön bezeichnet hatte. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht wieder einem Shitstorm ausgesetzt werde, weil ich einen Mann als klug und stark bezeichne, aber in diesen Zeiten kann man sich ja nie sicher sein. Wie auch immer. Hier ist ein sehr interessanter Teil der oben erwähnten Fragestunde, in der Dubov nach der Philidor-Verteidigung gefragt wurde:

"Obwohl die Philidor-Verteidigung veraltet ist, ist sie sehr solide. Außerdem ist sie so veraltet, dass man viele Spieler damit überraschen kann. Dass man bei Turnieren dieses Levels nicht bluffen kann versteht sich aber von selbst. Wenn ich das also gedacht hätte, dass es eine schlechte Eröffnung ist, hätte ich sie ganz sicher nicht gespielt. Ich bin aber zu dem Schluss gekommen, dass es eine gute Eröffnung ist, die oft unterschätzt wird. Ich mag das, wenn ich auf chessbomb.com gehe und Kommentare wie: "Dieser Idiot Dubov hat schon nach der Eröffnung wieder eine verlorene Stellung" lese. Nur weil sie eine Bewertung von +0.7 sehen. Aber wenn ich diese Eröffnung mehr als einmal spiele, bedeutet das, dass es einen guten Grund gibt, dies zu tun."

Wenn ich denken würde, dass es eine schlechte Eröffnung ist, hätte ich sie ganz sicher nicht gespielt.
—Daniil Dubov

Genau das hat uns Botvinnik gelehrt. Versuchen wir also nun, unsere eigene Eröffnungstheorie zu etablieren! Nach Dubovs Rat sehen wir uns eine sehr alte Partie an, in der ein US-Genie eine sehr ungewöhnliche Eröffnung spielte.

Die Datenbank zeigt, dass einige starke Spieler (unter anderem Weltmeister Wilhelm Steinitz) diese ungewöhnliche Eröffnung ebenfalls gespielt haben.

Sollten Ihr jetzt diese Eröffnung in Eurem nächsten Turnier spielen, bei dem Ihr versucht, eine IM-Norm zu erzielen? Wahrscheinlich nicht. Aber wenn Ihr Vereinsspieler seid, die scharfe, ungewöhnliche Stellungen mögen, könnt Ihr sie ruhig versuchen. Sie ist garantiert nicht schlechter als diese offensive Eröffnung. Und wenn Ihr gegen Carlsen spielt und keine wirkliche Idee habt, mit welcher Eröffnung Ihr ihn besiegen könnt, dann probiert doch einfach diese alte Morphy-Waffe aus. Nach 2..Sf6 spielt Ihr einfach 3.d3 und Ihr habt die Philidor-Verteidigung mit einem zusätzlichen Tempo auf dem Brett.

Wie Dubov ja bewiesen hat, fühlt sich Carlsen in diesen Stellungen nicht wohl.

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