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Hat sich Magnus beim Thema Festungen geirrt?

Hat sich Magnus beim Thema Festungen geirrt?

Gserper
| 89 | Endspiele

Nach der vierten Partie gegen Sergey Karjakin bei der Weltmeisterschaft 2016 sagte Magnus Carlsen den mittlerweile berühmten Satz: "Ich glaube nicht an Festungen!" Wahrscheinlich meinte er damit, dass es im Schach zwar Festungen gibt, aber die meisten Stellungen, die wie eine Festung aussehen, durchbrochen werden können.

Leider wurde dieser Satz des Weltmeisters dann tausendfach gedruckt und nachgedruckt (GM Hikaru Nakamura machte den Satz auf seinem Twitter Account sogar zum Zitat des Tages) und im Laufe der Zeit hat Carlsens Zitat dann seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Heutzutage wird allgemein angenommen, dass Carlsen über Festungen wie über Einhörner denkt: Sie existieren einfach nicht.

Die Leute weisen dann auch gerne darauf hin, dass es Karjakin nach der Festung in der vierten Partie gelungen ist, im selben Duell noch eine weitere undurchdringliche Festung aufzubauen!

Die eigentliche Frage ist also: Wie oft gibt es im Schach Festungen? Ich bezweifle, dass es dafür genaue Statistiken gibt, aber meine Antwort auf die Frage wäre, dass Festungen häufiger vorkommen, als viele vielleicht denken!

Bevor wir mit unserer Diskussion über Festungen fortfahren, möchte ich Euch aber eine lustige Geschichte erzählen, die sich vor etwa 60 Jahren bei einem sowjetischen Turnier ereignete. GM Eduard Gufeld hatte seine Partie gerade begonnen, als er bemerkte, dass in einer anderen Ecke des Turniersaals von zwei anderen Meistern genau dieselbe Eröffnung gespielt wurde. Das ist aber soweit noch nichts Ungewöhnliches, denn bei vielen Spitzenturnieren sieht man mehrere Najdorf-Sizilianer oder Damengambits.

Eduard Gufeld Magnus Carlsen Fortresses
Gufeld. Foto: Gennadiy Titkov, CC.

Doch je weiter Gufelds Partie voranschritt, desto besorgter war er über die Situation am anderen Brett. Der Wendepunkt war, als auf diesem Brett eine sehr starke Neuerung gespielt wurde. Gufeld erkannte schnell, dass es eine Katastrophe wäre, wenn sein Gegner die Neuheit sieht und ebenfalls spielt. Also ging Gufeld zu dem großen Demobrett, auf der die Partie mit der Neuerung gezeigt wurde und stellte sich so davor, dass sein Körper die Sicht auf das Demobrett verdeckte.

An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Gufeld schon immer ein großer Kerl war, der gerne den Ausdruck "vor 25 Kilos" anstatt des üblichen "vor 10 Jahren" benutzte. Die Person, die das Demobrett bediente, forderte Gufeld mehrmals auf, sich woanders hinzustellen und ihre Unterhaltung wurde ziemlich hitzig. Glücklicherweise war Gufelds Gegner so tief in Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte was außerhalb seines Bretts passierte und machte schließlich einen anderen Zug. Da es nicht die Neuerung war, vor der Gufeld Angst gehabt hatte, ging die Partie ohne weitere Zwischenfälle weiter.

Eine sehr ähnliche Situation haben wir schon in diesem Artikel besprochen. Beim FIDE Chess.com Grand Swiss Turnier auf der Isle of Men wurden an zwei benachbarten Brettern 19 Züge lang zwei identische Partien gespielt.

Viele von Euch werden sich jetzt fragen, was diese Geschichten von identischen und gleichzeitig gespielten Eröffnungen mit unserer Diskussion über Festungen zu tun haben. Tja. Sehen wir uns an, was vor ein paar Tagen bei der US-Meisterschaft passiert ist.

Gulrukhbegim Tokhirjonova, die zum ersten Mal bei diesem Turnier spielte, versuchte einen Mehrbauern in einen Sieg umzumünzen, aber ihrer trickreichen Gegnerin Sabina-Francesca Foisor gelang es, eine Festung aufzubauen:

Ich finde diese Festung überraschend, weil alle schwarzen Bauern auf Feldern der gleichen Farbe wie der schwarze Läufer stehen, was in solchen Endspielen ein absolutes No-Go ist. Außerdem hat Weiß ja einen Mehrbauern! Aber trotzdem ist das eine uneinnehmbare Festung!

In derselben Runde versuchte Fabiano Caruana geduldig, seinen positionellen Vorteil in einen Sieg umzuwandeln, was er auch schaffte. Ganz am Ende der Partie zeigte er aber auch noch etwas Schachhumor:

Heutzutage haben wir keine altmodischen Demobretter mehr. Stattdessen stehen überall Computermonitore. Dies hätte Caruanas großer Vorteil sein können, da es im Vergleich zu einem großen Demobrett je viel einfacher ist, den Blick auf einen Computermonitor zu blockieren! Wenn Ray Robson gesehen hätte, was in der oben erwähnten Partie von Tokhirjonova passiert war, die ja nur wenige Meter entfernt gespielt wurde, hätte er sicher den sehr einfachen Weg gefunden, seine eigene Partie zu retten.

Angesichts der Tatsache, dass es in nur einer Weltmeisterschaft gleich zwei Festungen gab und in derselben Runde der US-Meisterschaft zwei sehr ähnliche Festungen, gibt es Festungen wohl viel häufiger als viele denken. Es ist also besser, man glaubt an Festungen!

Was denkt Ihr über Festungen? Ist es Euch schon einmal gelungen eine Festung aufzubauen? Schreibt es in die Kommentare!

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