Die FIDE Olympiade findet nicht in Russland statt - Die Ukraine fordert den Ausschluss Russlands
Die Schacholympiade 2022, die vom 26. Juli bis 9. August geplant ist, findet nicht in Russland statt. Dies wurde von der FIDE nach der russischen Invasion in der Ukraine bekannt gegeben.
Die Haltung von Chess.com zu diesem Thema findet Ihr hier.
Die diesjährige Olympiade sollte parallel mit einem Turnier für Spieler mit Behinderungen und dem FIDE-Kongress in Moskau stattfinden. "Wir werden unser Möglichstes tun, um einen anderen Veranstalter für die Olympiade zu finden und alle Informationen über den Ort und die Daten für den FIDE-Kongress 2022 zu gegebener Zeit bekannt geben", schrieb die FIDE am Freitag in einer Erklärung.
FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich lieferte in einem Gespräch mit russischen Reportern auch einige Hintergrundinformationen. Er erklärte, dass dies eine Entscheidung des gesamten FIDE-Councils gewesen sei: "Es ist nicht meine persönliche Entscheidung. Wir haben diese Entscheidung unter Berücksichtigung aller sich gerade entwickelnder Umstände getroffen und wissen, dass die Teilnehmer der Schacholympiade in einer solchen Zeit unmöglich nach Moskau kommen können. Das war natürlich schwer zu akzeptieren, aber objektiv war es notwendig. Die Frage, ob wir in Zukunft solche Veranstaltungen in Russland durchführen können, kann ich heute nicht beantworten. Wir werden am Sonntag eine Sitzung des FIDE-Councils haben und dort diese Themen diskutieren. Danach werde ich in der Lage sein, mehr zu sagen."
Durch die Verlegung der Olympiade von Russland in ein anderes Land hat der Internationale Schachverband einen ähnlichen Schritt wie der Europäische Fußballverband UEFA unternommen, der das diesjährige Champions League Finale von St. Petersburg nach Paris verlegt hat.
Anders als die UEFA, die gestern eine Erklärung abgab, in der sie die anhaltende russische Militärinvasion in der Ukraine verurteilte, hat die FIDE die Militäraktionen Russlands bisher nicht verurteilt. Stattdessen brachte der Schachverband lediglich in einer Erklärung seine "ernsthafte Besorgnis über die sich derzeitig sich rapide verschlechternde geopolitische Situation" zum Ausdruck.
FIDE-Präsident Dvorkovich, der zwischen 2008 und 2018 hohe Positionen in der russischen Regierung innehatte, war diese Woche in Afrika unterwegs.
Ein ranghoher FIDE-Funktionär bezog aber Stellung. Nigel Short, einer der Vize-Präsidenten der FIDE, twitterte: "Die russische Invasion in der Ukraine ist der entsetzlichste Akt der Aggression gegen eine souveräne Nation."
The Russian invasion of #Ukraine is the most appalling act of aggression against a sovereign nation.
— Nigel Short (@nigelshortchess) February 25, 2022
Die Entscheidung der FIDE, die Olympiade zu verlegen, wurde ungefähr zur gleichen Zeit wie eine Erklärung des Ukrainischen Schachverbands auf Facebook veröffentlicht.
Der Verband fordert die Europäische Schachunion und alle nationalen Verbände auf, "die gewalttätigen Ereignisse in der Ukraine unverzüglich als Krieg zu bewerten, nachdem sich die FIDE sich geweigert hat, den Krieg als Krieg zu bezeichnen" und behauptet, dass "alle Bankkonten und Sponsoren der FIDE auf die Sanktionsliste gesetzt worden sind und die FIDE selbst weiterhin von einem engen Freund Putins geleitet wird – Arkady Dvorkovich."
Ukrainische Schachfunktionäre appellieren an die FIDE, "dringend die Generalversammlung außerhalb des Territoriums der Russischen Föderation und Weißrusslands einzuberufen, um das Verhalten der FIDE-Führung und die Wiederwahl ihrer Führungsgremien zu verurteilen und russische Spieler von internationalen Schachveranstaltungen auszuschließen und russischen Staatsbürgern die Teilnahme bei neuen FIDE-Wahlen zu verbieten."
Die Erklärung des Ukrainischen Schachverbandes endet mit der Bitte um "die angemessene Beurteilung und Bestrafung der berühmten Großmeister, die offen die kriminelle Aggression gegen die Ukraine unterstützt haben", und es werden der 12. Weltmeister Anatoly Karpov und die Großmeister Sergey Karjakin und Sergey Shipov genannt.
Karpov war einer der 351 Abgeordneten der Staatsduma, die für die Anerkennung der Volksrepublik Donezk (DNR) und der Volksrepublik Luhansk (LNR) gestimmt haben. Karpov tauchte gestern auf der Liste der natürlichen und juristischen Personen der Europäischen Union auf, gegen die Sanktionen verhängt wurden. Die EU-Sanktionen umfassen das Einfrieren der Vermögenswerte dieser Personen auf dem Gebiet der EU sowie ein Einreiseverbot in die EU.
Shipov, ein beliebter Schachkommentator in Russland, ist ebenfalls ein Putin-Anhänger. Am Donnerstag schrieb er auf Facebook: "Jetzt können Donezk und Lugansk friedlich schlafen. Acht Jahre Leben unter den Bomben sind zu Ende."
Karjakin unterstützt offen die russische Regierung. Ebenfalls am Donnerstag teilte er seinen Standpunkt, indem er sagte, dass er derselben Meinung wie die russische Staatsmedienjournalistin Anna Shafran sei. In einem Text auf Telegram argumentierte sie, dass Russland "den Krieg nicht begonnen hat" und dass "jede Unterstützung für das Kiewer Regime eine Unterstützung für den Krieg ist".
Karjakin: "Ich unterschreibe jedes Wort! Besser kann man es nicht formulieren."
Много людей спрашивают мое мнение по поводу Украины. Сперва я уже почти написал большой текст со своими мыслями, но потом наткнулся на пост @Anna_Shafran и… подписываюсь под каждым словом! Лучше не сформулируешь!👏👏👏https://t.co/5TJhrkauzp
— Sergey Karjakin (@SergeyKaryakin) February 24, 2022
Ein weiterer Tweet von Karjakin, der hier nur als Screenshot gezeigt wird, weil er gelöscht wurde, wurde von einigen seiner Kollegen scharf kritisiert.
Viele andere russische Großmeister haben ganz andere Ansichten geäußert – die des Entsetzens und des Unglaubens – und ein Ende des Krieges gefordert. Das jüngste war der in Petersburg ansässige Nikita Vitiugov der auf Twitter schrieb: "Ich werde meine Position klarstellen – Man kann sich nicht auf dem Territorium eines anderen verteidigen. Russen und Ukrainer sind Brüder, keine Feinde. Stoppt den Krieg."
Невозможно поверить. В 2022 году в Европе люди гибнут на войне, ломаются судьбы десятков миллионов людей. Ужас. Не вижу, чем эмоции в интернете могут помочь. Зафиксирую свою позицию – нельзя защищаться на чужой территории. Русские и украинцы - братья,а не враги. Остановите войну.
— Nikita Vitiugov (@N_Vitiugov) February 25, 2022
Ähnliche Reaktionen von Schachpersönlichkeiten, unter anderem aus Russland, erschienen am Donnerstag ebenfalls. Zum Beispiel schrieb Ian Nepomniachtchi: "Die Geschichte hat schon viele schwarze Donnerstage gesehen. Aber der heutige ist es schwärzer als all die anderen."
История видела немало чёрных четвергов. Но сегодняшний чернее прочих. #нетвойне #saynotowar
— Yan Nepomniachtchi (@lachesisq) February 24, 2022
Peter Svidler: "Nur Schweigen hat heute möglich gemacht."
Молчание сделало сегодняшний день возможным. #нетвойне
— Peter Svidler (@polborta) February 24, 2022
Alexandra Kosteniuk hat ohne weiteren Kommentar nur ein schwarzes Bild getwittert:
— Alexandra Kosteniuk (@chessqueen) February 24, 2022
Alexander Motylev: "KEIN KRIEG"
IM Alina Bivol: "Bis vor kurzem glaubte ich, dass dies nicht passieren würde. Ich möchte Schachspieler auf der ganzen Welt dazu aufrufen, uns nicht für das Vorgehen der Regierung zu hassen. Wir wissen, dass es falsch ist."
До последнего верила, что этого не случится. Хотелось бы призвать шахматистов всего мира не ненавидеть нас за действия власти. Мы сами все понимаем. #нетвойне
— Alina Bivol (@zabivol_mc) February 24, 2022
Viele andere bekannte Spieler haben kommentarlos eine ukrainische Flagge zu ihren Profilen in den sozialen Medien hinzugefügt, um ihre Unterstützung zu zeigen.
Unterdessen wächst die Besorgnis um die Sicherheit ukrainischer Schachspieler – insbesondere aufgrund von Tweets wie dem folgenden von Kirill Shevchenko, dem Gewinner des Lindores Abbey Blitz 2021 in Riga.
Kyiv, right now, not far from home.
— Kirill Shevchenko (@Chesser_22) February 25, 2022
Please share it everywhere!!!!! It's not fake photos,it is happening right now! https://t.co/4cICMjwfCe ретвит пожалуйста! pic.twitter.com/38A5Ezjcht
Weitere Top-Großmeister haben Kommentare abgegeben. Einer der ersten war der Amerikaner Hikaru Nakamura: "Es ist viele Jahre her, seit ich in der Ukraine war, aber zu sehen, was jetzt passiert, ist herzzerreißend. Bleibe stark, Ukraine."
It has been many years since I was in Ukraine, but to see what is happening now is heartbreaking. Stay strong 🇺🇦
— Hikaru Nakamura (@GMHikaru) February 24, 2022
Der Inder Vidit Gujrathi: "Tragisch und unmenschlich."
Tragic & inhumane. 😔
— Vidit Gujrathi (@viditchess) February 24, 2022
Der 13. Weltmeister Garry Kasparov, der in seinem Buch "Winter is Coming" schon 2015 davor gewarnt hatte, was diese Woche passiert ist, war auf Twitter und anderen Plattformen aktiv. Der folgende, fünfteilige Tweet wurde viele Male retweetet.
Ok, after years of warnings were ignored and hearing "Garry, you were right!" all damn day today, I'll repeat what I said in 2014: Stop telling me I was right and listen to what I'm saying now. My recommendations follow: 1/5
— Garry Kasparov (@Kasparov63) February 24, 2022
Der schottische Großmeister Jacob Aagaard, ein bekannter Autor und Trainer, wies darauf hin, was der ukrainische Schachverband heute ebenfalls erwähnte: Es ist eine Tatsache, dass die FIDE stark von russischen Sponsoren abhängig ist, bei denen es sich oft um staatliche Unternehmen handelt. Beispiele sind der Gasversorger Gazprom, der Düngemittelriese PhosAgro und das Bergbauunternehmen Nornickel.
Aagaard: "In der FIDE haben wir jahrelang akzeptiert, Gazprom-Gelder zu nehmen. Es war politisch natürlich egal, was Russland tat und damals waren alle froh, sie zu haben. Jetzt müssen wir der Realität ins Auge sehen und Russland so lange ausschließen, wie das Land einen Krieg finanziert."
In FIDE we have accepted taking Gazprom money for years. It did not matter politically to what Russia did, of course, and at the time everyone were happy to take them. Now we have to face reality and exclude Russia, as long as it if financed by war.
— Jacob Aagaard (@GMJacobAagaard) February 24, 2022
Unterdessen hat Weltmeister Magnus Carlsen gegenüber dem norwegischen Fernsehen kommentiert: "Wenn man ein Land repräsentiert, das so viele seltsame Dinge tut wie Russland, erlebt man viele Höhen und Tiefen. Russische Spieler und ich sind alle der Meinung, dass ein Land so etwas nicht tun sollte. Ich muss mein Bestes geben und habe das Glück, in einem Land zu leben, in dem Frieden herrscht."
Carlsen to TV 2: "When you represent a country that does so many strange things as Russia does, you get many ups and downs. Russian players and I both think this is something a country shouldn't do. I have to do my best and I am lucky to live in a country where there is peace"
— Tarjei J. Svensen (@TarjeiJS) February 25, 2022
Die Verlegung der Olympiade war ein erwarteter Schritt der FIDE, aber es bleibt abzuwarten, ob der Krieg in der Ukraine noch weitere Auswirkungen auf die Schachwelt haben wird.