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FIDE Kandidatenturnier 2020: Ding schafft gegen Caruana ein sensationelles Comeback
Caruana resigns vs. Ding Liren. Photo: Maria Emelianova/Chess.com.

FIDE Kandidatenturnier 2020: Ding schafft gegen Caruana ein sensationelles Comeback

PeterDoggers
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

In der dritten Runde konnte GM Ding Liren die Vorbereitung von GM Fabiano Caruana auskontern und gewann seine erste Partie beim Kandidatenturnier 2020 in Jekaterinburg. Die Großmeister Ian Nepomniachtchi, Maxime Vachier-Lagrave und Wang Hao gehen als Führende in den ersten Ruhetag.

Ihr könnt das FIDE Kandidatenturnier täglich ab 12.00 Uhr mit Kommentaren von IM Steve Berger live auf Chess.com/de/TV ansehen. Die vierte Runde wird am Samstag, den 21. März gespielt. Die Partien könnt Ihr hier auf Chess.com/events ansehen. Alle Informationen über das Kandidatenturnier findet Ihr in diesem Artikel.


Die Übertragung der dritten Runde in voller Länge.

Für Ding stand in der dritten Runde viel auf dem Spiel. Ein Minus von zwei Punkten war schlecht, aber mit minus drei wäre sein Turnier mehr oder weniger vorbei gewesen. Eine weitere Niederlage durfte er sich also auf keinen Fall leisten.

Als ihn Caruana dann auch noch in der Eröffnung überraschte zogen für den Chinesen weitere Gewitterwolken auf. Seit 2017 in Gibraltar hatte der amerikanische GM nicht mehr sie Slawische-Verteidigung gespielt und dann entkorkte er auch noch im 9. Zug eine scharfe Neuerung. Caruana hatte die Variante bestens vorbereitet und noch lange geblitzt, während der Chinese eine schwierige Entscheidung nach der anderen treffen musste.

Ding Liren FIDE Candidates 2020
Ding Liren in der Anfangsphase der Partie. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Caruana hatte nicht nur einen, sondern gleich zwei Bauern geopfert und dafür diese ästhetisch ansprechende Stellung mit den beiden Läufern neben den weißen Springern und einem unsicheren weißen König erhalten:

Die Stellung nach 16...Sf8. 

Ein finaler KO-Schlag war aber nicht in Sicht und so stellte sich die große Frage: Hat Schwarz genug für seine beiden Bauern? Unser Star-Kommentator GM Vishy Anand sagte zu diesem Zeitpunkt: "Ich vermute, dass Weiß OK steht, aber diese Stellung gegen einen so gut vorbereiteten Gegner zu spielen ist extrem schwer."

Ding kämpfte gleichzeitig gegen den zweitbesten Spieler der Welt, dessen Vorbereitung und die Uhr. Nach 14 Zügen hatte er eine Stunde weniger Bedenkzeit als sein Gegner und nach 16 Zügen hatte er noch ganze 16 Minuten auf der Uhr.

GM Robert Hess: "Diese Partie macht ihm sicher keinen Spaß."
Anand: "Oh, ich denke, dieser Zug ist vor langer Zeit abgefahren. Wenn er Spaß haben will, kann er auch in einen Vergnügungspark gehen."

Ding Liren Fabiano Caruana FIDE Candidates 2020
Eine beeindruckende Vorbereitung von Fabiano Caruana. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Es wurde es für Schwarz Zeit, etwas Konkretes zu zeigen, aber das passierte nicht. GM Dejan Bojkov vermutet, dass Caruana ein- oder zweimal die Zugfolge verwechselt haben könnte und dass sich Ding deshalb neu gruppieren und konsolidieren konnte.

"Er hat so schnell gespielt. Nach der Eröffnung hatte er über eine Stunde mehr Bedenkzeit. Ich weiß nicht, wo genau er einen Fehler gemacht hat, denn seine Kompensation schien gewaltig zu sein", sagte Ding über die Eröffnungsphase.

Ding Liren FIDE Candidates 2020
Ding wurde heute aufs Maximale getestet. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

"Ich machte mir Sorgen um meine Stellung. Ich sah aber auch keinen klaren Weg, wie er weiterspielen wollte. Aber da er sich noch in seiner Vorbereitung befand, dachte ich, dass etwas mit meinem Spiel nicht stimmt", sagte Ding. "Vielleicht hat er zu langsam gespielt. Er hat viele Bauernzüge gemacht um zu verhindern, dass ich meine Dame auf ein besseres Feld entwickeln kann."

Erst als er seine Dame auf g3 ziehen konnte, war sich Ding sicher, dass er viel besser stand. Das half auch seiner Situation auf der Uhr. Er konnte genug Kontrolle behalten und ohne große Probleme den 40. Zug erreichen.

Obwohl Caruana eine Weile weiterspielte und einige letzte Tricks versuchte, hatte er sich zu diesem Zeitpunkt wohl bereits damit abgefunden, dass sich seine extrem gute Vorbereitung zu einem Rohrkrepierer entwickelt hatte und die Partie verloren war.

GM Daniel Naroditsky sagte über Ding, nachdem dieser die Partie komplett umgedreht hatte: "Das ist eine einzigartige mentale Stärke und Widerstandsfähigkeit."

Ding Liren FIDE Candidates 2020
Ding Liren stattete nach der Partie den chinesischen Kommentatoren einen Besuch ab. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Auf die Frage, wie er seine beiden Auftaktniederlagen verdaut hatte, sagte Ding: "Gestern habe ich mich hart vorbereitet. Aber nicht speziell auf diese Partie. Nur für einige allgemeine Ideen. Ich wollte mich daran erinnern, wie ich in meiner Höchstform gespielt habe. Und ich wollte mich erholen."

Er bemerkte, dass er auch Online viel Unterstützung von Freunden und seiner Familie bekommt und dass ihm das vielleicht geholfen hatte, um in Kampfstimmung zu kommen: "Heute, als er diesen Slawen gespielt hat, wollte ich kurz mit 3.cxd5 nehmen und ein schnelles Remis machen, aber dann dachte ich: Das ist doch nicht mein Stil. Ich muss die kritischste Variante spielen."


IM Danny Rensch zeigt die Partie des Tages.

Bei der Partie zwischen GM Kirill Alekseenko und Nepomniachtchi sahen wir eine auf diesem Level selten gespielte, aber immer willkommene Eröffnung: Die Winawer Variante in der Französischen-Verteidigung. Den Gegner zu Überraschen war bisher für viele Spieler eine Schlüsselstrategie. 2017 und 2018 hatte Nepomniachtchi die Französische-Verteidigung überhaupt nicht gespielt und 2019 nur einmal im Schnellschach.

Die Überraschung war gelungen. Alekseenko brauchte dreieinhalb Minuten für den Zug 2.d4 und entschied sich dann für eine etwas seltsame Mischung aus dem h2-h4-System (à la Garry Kasparov) und dem alten Sg1-f3 (à la Bobby Fischer).

Alekseenko Nepomniachtchi elbow shake
Alekseenko und Nepomniachtchi mit der "Ellbogen-Begrüßung". Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Nach der Partie gab er zu, dass er seine Stellung überhaupt nicht mochte, aber nachdem ihm sein Gegner mit dem Zug 16...Dxc5 das Feld d4 überließ, wurde er optimistischer. Bald darauf machte er ein vielversprechendes Qualitätsopfer und Anand gefiel seine Entschädigung so sehr, dass er sich nicht einmal sicher war, ob Nepomniachtchi das Opfer annehmen hätte sollen.

Und dann lies Nepomniachtchi plötzlich ein starkes Opfer zu.... das Alekseenko zwar schon einen Zug vorher im Auge hatte, aber dann doch nicht spielte. Mit nur 3 Minuten auf der Uhr (ist Alekseenko der neue Grischuk?) konnte er einfach nicht alle Konsequenzen berechnen.

"Ich habe beschlossen, ein bisschen zu bluffen", sagte Nepo. "Wenn 25...g6 ungestraft bleiben, kann ich vielleicht um einen Vorteil kämpfen."

Schon bald darauf kam es aber dann zu einer Zugwiederholung.

Alekseenko Nepomniachtchi FIDE Candidates
Alekseenko und Nepomniachtchi analysieren ihre Partie. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

GM Alexander Grischuk wird am Ruhetag nicht allzu glücklich sein. In allen drei Partien stand er besser, aber am Ende konnte er nur drei Remis erzielen.

Heute, als er schon dachte, er würde gewinnen, fiel er auf einen Trick herein, mit dem sich Wang in ein ausgeglichenes Endspiel retten konnte.

"Ich habe diesen ...Se4+ -Trick schon lange zuvor gesehen", sagte Grischuk. "Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hat er aber nicht funktioniert und da habe ich ihn völlig vergessen. Es war natürlich ein Riesenfehler aber was die Sache noch schlimmer macht, ist der Fakt, dass ich den Trick ja gesehen hatte." 

Wang: "Weiß stand natürlich viel besser und ich hatte Glück, dass ich ein Remis erreichen konnte. Es war wie die gestrige Partie, nur dass ich heute mit Schwarz gespielt habe."

Grischuk Wang Hao FIDE Candidates
Das Remis zwischen Grischuk und Wang Hao. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Auch GM Anish Giri hatte gegen Vachier-Lagrave eine Überraschung in petto: Die 5.Ld2 Variante im Gruenfeld. Der Holländer hatte dieses ziemlich respektable System, das auch bei der Weltmeisterschaft 2014 gespielt wurde, erst einmal zuvor gespielt und das war im Jahr 2009!

MVL durchsuchte sein Gedächtnis 5 Minuten lang nach dieser Variante und konnte sich dann an einiges erinnern.

"Ich musste aber trotzdem einige Züge am Brett finden und die Stellung war ziemlich gefährlich für mich", sagte Vachier-Lagrave. "Ich habe es dann geschafft, die Stellung in ein etwas schlechteres, aber haltbares Endspiel zu vereinfachen."

Maxime Vachier-Lagrave FIDE Candidates
Maxime Vachier-Lagrave musste sich mit 5.Ld2 beschäftigen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

"Es gibt etwa 10 Möglichkeiten, um in dieser Variante auszugleichen und ich kenne alle von ihnen, aber das war keine davon", sagte Giri nach der Partie.

Giri MVL handshake FIDE Candidates
Giri und MVL einigen sich auf ein Remis. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Auf die Frage nach ihren Plänen für den Ruhetag wiesen sowohl Vachier-Lagrave als auch Grischuk darauf hin, dass es anders als normal verlaufen werde.

MVL wird seine Vorbereitung nachholen: "Angesichts der Tatsache, dass ich mich noch an vieles erinnern muss, denke ich, dass ich weiß, wie ich diesen freien Tag verbringen sollte. Seltsamerweise werde ich also den Ruhetag mit Schach verbringen. Das ist nicht mein normales, aber vielleicht ja mein neues Ich!"

Grischuk beklagte, dass er seinen freien Tag nicht wie üblich auf hochkulturelle Art verbringen kann
(😀): "Normalerweise gehe ich an einem Ruhetag morgens in ein Museum und  abends in ein Theater. Aber jetzt ist alles geschlossen. Welch ein Unglück."

Alexander Grischuk FIDE Candidates
Der stets witzige Grischuk lies sich auch von einem verpassten Sieg seine Laune nicht verderben. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Die Tabelle nach der 3. Runde

# Land Name Elo Leistung 1 2 3 4 5 6 7 8 Punkte SB
1-3 Ian Nepomniachtchi 2774 2866 ½ 1 ½ 2.0 2.25
1-3 Maxime Vachier-Lagrave 2767 2923 ½ 1 ½ 2.0 2.25
1-3 Wang Hao 2762 2902 ½ 1 ½ 2.0 2.25
4 Fabiano Caruana 2842 2757 ½ 0 1 1.5 2
5 Alexander Grischuk 2777 2745 ½ ½ ½ 1.5 2.5
6 Ding Liren 2805 2670 0 0 1 1.0 1.5
7-8 Anish Giri 2763 2648 0 ½ ½ 1.0 2
7-8 Kirill Alekseenko 2698 2678 ½ 0 ½ 1.0 1.75

Die Paarungen der vierten Runde lauten: Caruana-Nepomniachtchi, Wang-Alekseenko, MVL-Grischuk, Ding-Giri.

In der Zwischenzeit musste die FIDE aufgrund eines neuen Dekrets des Gouverneurs der Region Swerdlowsk noch strengere Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Coronavirus treffen. Nach mittlerweile sechs gemeldeten Fällen in Jekaterinburg sind alle öffentlichen Indoor-Veranstaltungen bis zum 10. April auf maximal 50 Personen beschränkt.

In Anbetracht dessen hat der Internationale Schachverband beschlossen, den Zugang zum Spielort noch weiter einzuschränken. Zuschauer waren ja bereits zuvor nicht zugelassen, aber jetzt der Zutritt zur Spielhalle nur noch Spielern, Schiedsrichtern, dem Organisationskomitee und dem unbedingt notwendigen technischen Personal erlaubt.

Giri Vachier-Lagrave FIDE Candidates
Beim Kandidatenturnier sind keine Zuschauer zugelassen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Währenddessen geben sich einige Spieler immer noch die Hand, während andere es vermeiden. Giri schlug ein Verbeugung vor, wie sie beim Shogi üblich ist. Er ist kein Fan des "Ellbogenschüttelns" und sagt: "Von allen möglichen Möglichkeiten, sich gegenseitig Respekt zu erweisen, ist dies die gruseligste!"

Anish Giri elbow shake
Giri ist kein Fan der "Ellbogen-Begrüßung". Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Der Holländer verabschiedete sich in den Ruhetag mit den Worten: "Das Problem ist, dass wir zweimal am Tag einen Arztcheck bekommen und der Arzt sagt mir nur, dass ich kein Fieber habe und dass mein Hals in Ordnung ist, aber der Arzt sagt mir nicht, dass ich wie ein totaler Idiot spiele und dass etwas mit meinem Gehirn nicht stimmt!"

2020 Candidates Highlights

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Giri mit dem von den Organisatoren bereitgestellten Desinfektionsmittel. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Vachier-Lagrave Chess.com FIDE Candidates
Vachier-Lagrave stattete nach seinem Remis der Liveübertragung von Chess.com einen Besuch ab. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

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Peter Doggers

Peter Doggers joined a chess club a month before turning 15 and still plays for it. He used to be an active tournament player and holds two IM norms.

Peter has a Master of Arts degree in Dutch Language & Literature. He briefly worked at New in Chess, then as a Dutch teacher and then in a project for improving safety and security in Amsterdam schools.

Between 2007 and 2013 Peter was running ChessVibes, a major source for chess news and videos acquired by Chess.com in October 2013.

As our Director News & Events, Peter writes many of our news reports. In the summer of 2022, The Guardian’s Leonard Barden described him as “widely regarded as the world’s best chess journalist.”

In October, Peter's first book The Chess Revolution will be published!


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