Magnus Carlsen wird seinen WM-Titel nicht verteidigen
Magnus Carlsen wird seinen Weltmeistertitel nächstes Jahr nicht gegen Ian Nepomniachtchi verteidigen. Diese Entscheidung gab Carlsen am Dienstag in einem Podcast bekannt. Gemäß den aktuellen Regularien wird jetzt der Sieger des FIDE-Kandidatenturniers, Nepomniachtchi, gegen den zweitplatzierten Ding Liren um die Schachweltmeisterschaft spielen.
"Ich habe mit meinem Team gesprochen, ich habe mit der FIDE gesprochen, ich habe auch mit Ian gesprochen. Die Schlussfolgerung ist sehr einfach: Ich bin einfach nicht motiviert, eine weitere WM zu bestreiten", sagte Carlsen. "Ich habe nicht viel zu gewinnen. Ich mag einen WM-Kampf nicht besonders und obwohl ich mir sicher bin, dass ein Match aus historischen Gründen interessant wäre, habe ich keine Lust darauf und werde nicht antreten."
Carlsen bestätigte damit seine am 14. Dezember und später mehrfach wiederholten Äußerungen: Nach fünf Weltmeisterschaften hat er keine Freude mehr daran.
"Es war eine interessante Reise, seit ich mich 2013 ehrlich gesagt aus einer Laune heraus entschieden habe, das Kandidatenturnier zu spielen. Ich hatte mir einfach gedacht, dass es interessant sein könnte und dann wurde ich Weltmeister und der Weltmeistertitel hat mir seitdem viel gegeben und viele Türen geöffnet und darüber bin ich glücklich. Die Weltmeisterschaften selbst waren manchmal interessant und manchmal auch ein bisschen lustig."
Der Norweger schließt zwar nicht völlig aus, dass er eines Tages wieder um eine Weltmeisterschaft spielt, hält das aber nicht für sehr wahrscheinlich: "Ich schließe eine zukünftige Teilnahme nicht aus, aber ich würde nicht damit rechnen."
In der ersten Ausgabe des neuen Podcasts "The Magnus Effect" gab Carlsen seine Entscheidung bekannt.
Während des FIDE-Kandidatenturniers hatte sich Carlsen mit FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich und FIDE-Generaldirektor Emil Sutovsky getroffen und die beiden konnte Carlsen offenbar nicht davon überzeugen, seinen Titel ein fünftes Mal zu verteidigen.
Über dieses Treffen in Madrid sagte Carlsen: "Ich hatte bei diesem Treffen keine Forderungen oder Vorschläge. Sie hatten ein paar Vorschläge, aber das Wesentliche war, dass ich ihnen gesagt habe, dass ich meinen Titel nicht verteidigen werde."
Dvorkovich sagte zu Chess.com, dass er die Entscheidung des Weltmeisters respektiere und bestätigte, dass es nun gemäß den Regeln ein Match zwischen Ding und Nepomniachtchi geben werde.
Wie sich herausstellte, hat Carlsen seine Meinung über ein Gefühl, das er schon seit einiger Zeit hatte, nie wirklich geändert. "Ich habe über diese Entscheidung schon seit über einem Jahr und schon lange vor der letzten WM nachgedacht und bin damit jetzt ziemlich zufrieden", sagte er.
Dass sich Nepomniachtchi für eine zweite WM gegen Carlsen qualifizierte, war auch keine große Hilfe. Carlsen hatte ja zuvor erklärt, dass er lieber gegen einen Gegner der neuen Generation, insbesondere gegen Alireza Firouzja spielen würde. "Vier Weltmeisterschaften oder fünf – das hat mir nichts bedeutet. Das war nichts", sagte Carlsen im gestrigen Podcast. "Ich war zufrieden mit meiner Arbeit. Ich war froh, dass ich das Match nicht verloren hatte. Aber das war auch alles."
Carlsen bestätigte auch ausdrücklich, dass er nicht vorhat, seine Karriere zu beenden: "Nur damit es hier keine Zweideutigkeit gibt: Ich werde mich nicht vom Schach zurückziehen. Ich werde ein aktiver Spieler bleiben. Ich reise noch heute nach Kroatien, um die Grand Chess Tour zu spielen und von dort aus gehts weiter nach Chennai, wo ich die Olympiade spielen werde. Das wird sicher eine Menge Spaß machen, denn Norwegen ist dort an Nummer vier gesetzt. Danach reise ich nach Miami zu einem der wahren Highlights des Jahres – der FTX Crypto Cup wird einfach großartig werden. Und gleich danach beginnt der Sinquefield Cup."
Ding Liren: "Eine neue Ära"
"Im Moment schweben in meinem Kopf sehr viele Gefühle herum, die ich erst mal sortieren muss", sagte Ding in einer ersten Reaktion gegenüber Chess.com. "Aber ich freue mich auf jeden Fall schon sehr darauf, nächstes Jahr in einem Weltmeisterschaftskampf um die Schachkrone kämpfen zu dürfen."
Ding rief aus Barcelona an, wo er derzeit in der Wohnung eines Freundes wohnt. Er gab bekannt, dass er direkt nach dem Kandidatenturnier an Covid erkrankt war und daher noch nicht nach China zurückfliegen konnte. In etwa zwei Wochen und nachdem er sich vollständig erholt hat, wird er nach China zurückreisen. Von Carlsens Entscheidung zeigte sich der Chinese überrascht:
"Ich wusste, dass er Zweifel hatte, aber ich hatte schon erwartet, dass er spielt. Allerdings verstehe ich ihn auch. Weltmeister zu sein bedeutet eine Menge Verantwortung und es gibt viele Dinge zu bewältigen."
Ding wies auch auf die Ähnlichkeiten zu Yuzuru Hanyu hin. Der japanische Eiskunstläufer hatte ebenfalls gestern seinen Rücktritt vom Wettbewerb bekannt gegeben, aber versprach, in Schaulaufen weiterhin anzutreten.
In der Schachwelt ist es kein Novum, dass ein Weltmeister seinen Titel nicht verteidigt. 1946 verstarb Alexander Aljechin als amtierender Weltmeister und zwei Jahre später gewann Mikhail Botvinnik den WM-Titel. 1975 konnte sich Bobby Fischer mit der FIDE nicht über die Bedingungen für eine Titelverteidigung einigen und verlor deshalb seinen Titel kampflos an seinen designierten Herausforderer Anatoly Karpov.
1993 verließ der amtierende Weltmeister Garry Kasparov die FIDE und gründete kurzerhand seinen eigenen Schachverband. Das führte zu einer Spaltung der Schachwelt die bis 2006 andauerte, als Vladimir Kramnik einen Wiedervereininungskampf gegen den FIDE Weltmeister Veselin Topalov gewann.
"Es ist keine ideale Situation, wenn der beste Spieler der Welt seinen Titel nicht verteidigt, und es ist auch nicht toll, einen eigenen Verband zu gründen", sagte Ding und fügte hinzu: "Für die Fans ist es besser, wenn die besten Spieler der Welt um die Weltmeisterschaft kämpfen und in den letzten Jahren war Magnus natürlich der beste Spieler. Aber jetzt beginnt eine neue Ära."
Ding sagte, er hoffe, dass Carlsen "eines Tages zurückkommt“ und weiß auch, dass das Erreichen des höchstmöglichen Wettbewerbs auch eine neue Verantwortung mit sich bringt: "Ich muss jetzt wirklich mein Englisch verbessern!"
Ian Nepomniachtchi: "Ziemlich enttäuschend"
Nachdem er seine dritte Runde beim Super United Croatia Rapid & Blitz in der kroatischen Hauptstadt Zagreb beendet hatte, sprach Chess.com auch mit Nepomniachtchi.
"Es war jetzt kein wirklicher Schock, denn es war ja nicht das erste Mal, dass ich von seinen Absichten hörte", sagte er. "Wir haben uns nach Madrid auch kurz online unterhalten und da war es mir schon ziemlich klar, dass er höchstwahrscheinlich nicht spielen wird. Aber wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ehrlich gesagt ist es aber schon ziemlich enttäuschend, denn ich hatte mich schon sehr auf den Rückkampf gefreut."
Im Allgemeinen denkt der Herausforderer, dass Carlsens Entscheidung nicht gut für die Schachwelt ist. "Es ist ziemlich schlecht, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer einzuschätzen, wie schlecht es ist“, sagte Nepomniachtchi. "Aus menschlicher Sicht ist es eine durchaus verständliche Entscheidung von Magnus und ungeachtet meiner persönlichen Enttäuschung darüber, respektiere ich sie voll und ganz. Wir haben jedoch diese große Schachtradition, die seit fast 150 Jahre besteht und das ist etwas wirklich Unbezahlbares."
Über das Duell mit Ding sagte Nepomniachtchi: "Ich würde sagen, dass seine schachlichen Fähigkeiten locker mit denen von Magnus vergleichbar sind. Ding ist unbestritten einer der besten Spieler der letzten Jahre und er hatte ja auch diese Serie von 100 Partien in Serie ohne Niederlage. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Er hat aber einen ganz anderen Stil, er ist eine ganz andere Person, ein ganz anderer Spieler – und ein sehr ernstzunehmender Gegner. Es wird sehr schwer werden!"