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Die WM wird in der letzten Partie entschieden
Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Die WM wird in der letzten Partie entschieden

JackRodgers
| 0 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Nach der verheerenden Niederlage in der 12. Partie konnte sich Ian Nepomniachtchi stabilisieren und erreichte in der 13. Partie der FIDE Weltmeisterschaft 2023 gegen Ding Liren ein Remis nach 38 Zügen. Obwohl Nepomniachtchi mit Weiß spielte, bezeichnete Kommentator Fabiano Caruana das Remis als "ein gutes Ergebnis für Ian". Damit entscheidet die letzte Partie dieser WM auch über den Ausgang derselben.

Sollte diese letzte Partie Remis enden, wird der neue Schachweltmeister am Sonntag in einem Schnellschach-Tiebreak ermittelt.

Die alles entscheidende 14. Partie beginnt am Samstag, dem 29. April, um 11.00 Uhr.

So könnt Ihr bei der FIDE Weltmeisterschaft 2023 zusehen:
Wir übertragen alle Partien der FIDE Weltmeisterschaft 2023 mit Kommentaren von Steve Berger und interessanten Gästen wie Jan Gustafsson und Fiona Steil-Antoni auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube. Die englischsprachige Übertragung findet Ihr auf https://www.youtube.com/@chesscomlive
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der 13. Partie:
Kommentatoren: Steve Berger und Fiona Steil-Antoni

Seit er in der siebten Partie einen immensen Vorteil weggeworfen hat, dreht sich ein Großteil der Tagesgespräche darum, dass Ding gegen seine eigenen Dämonen kämpft. Viele stellten seine Belastbarkeit infrage und einige behaupteten sogar, dass ein Comeback für ihn zu schwierig wäre. Nach einem Glücksfall in der 12. Partie änderte sich jedoch die Tonart.

Ding erschien zur 13. Partie mit stoischer Ruhe und ohne offensichtliche Emotionen. Ganz im Gegensatz dazu erschien Nepomniachtchi jetzt in einem weißen Hemd, nachdem ihm die korallenrote Farbe, die er sechs Partien in Folge getragen hatte, offensichtlich kein Glück mehr gebracht hatte. Der Kleidungswechsel war das offensichtlichste Zeichen dafür, dass der Druck jetzt wieder auf ihm lastete.

Das korallenrote Hemd hat ausgedient. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Den zeremoniellen ersten Zug der Partie spielte der Akim (Bürgermeister) von Astana, Zhenis Kassymbek und er lag richtig mit seiner Vorhersage, dass Nepomniachtchis Wahl  1.e4 sein würde. Nach sechs Zügen hatten wir eine spanische Eröffnung auf dem Brett. Genauer gesagt war es die Martinez-Variante der Morphy-Verteidigung, was Ding aber im Gegensatz zur 11. Partie, als er mit dieser Variante doch gewisse Schwierigkeiten hatte, nicht überraschte.

Zhenis Kassymbek führte den ersten Zug aus. Foto: Maria Emelianova.

Nepomniachtchis Zug 10.Le3 war die erste Abweichung von der gängigen Theorie und Ding spielte nach knapp zwei Minuten die Antwort 10...Sa5, was darauf hindeutet, dass beide Spieler gut vorbereitet waren. Die Atmosphäre im Spielsaal war geradezu intensiv und während Nepomniachtchis Gefühlszustand genau unter die Lupe genommen wurde, sagte er später: "Gestern ist etwas schiefgelaufen. Ich habe es gespürt. Heute hatte ich dieses Gefühl nicht."

Der erste Moment großer Spannung kam, als sich Nepomniachtchi sich für den Zug 14.d4 entschieden hatte, was eine asymmetrische Bauernstruktur und einen Kampf im Zentrum bedeutete. Trotz des Ungleichgewichts und der bislang unerforschten Stellung spielten sich beide Spieler mit einem gesunden Tempo durch das frühe Mittelspiel. Die Züge von Weiß wurden jedoch bald nicht nur von Caruana, sondern auch von der Engine infrage gestellt.

Nepomniachtchi verbarg all seine Emotionen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Obwohl Nepomniachtchi die "offensichtlichsten" Züge gespielt hatte, fand Caruana, dass ihm die Partie allmählich entgleiten könnte. Der WM-Herausforderer von 2018 erinnerte sich, dass "Nepomniachtchi gestern ebenfalls anfing, einige oberflächliche Entscheidungen zu treffen, die nicht auf Berechnungen beruhten", und erklärte nach 18 Zügen, dass in Partie 13 etwas Ähnliches passieren könnte.

Ding roch Blut im Wasser und entschied sich für den faszinierenden Zug 21...Te5, der später in der Pressekonferenz zum Gesprächsthema wurde. Der Zug ließ die Kommentatoren Caruana, Robert Hess und Tania Sachdev sowie viele der weltbesten Spieler ratlos zurück und sie versuchten die Idee hinter dem Zug zu ergründen. Großmeisterin Irina Krush hatte später die Gelegenheit, Ding nach dem Zweck dieses Zuges zu fragen, worauf der Chinese seine Idee vereinfachte und erklärte, er habe einfach nur den Springer auf e5 gedeckt.

Nachdem Ding jedoch mit dem verwirrenden Zug 23...De7 fortgesetzt hatte, den Caruana als "visuell schockierend" und "unnatürlich" bezeichnete, war klar, dass der kreative Zug 21...Te5 nichts gebracht hatte. Der Bewertungsbalken stimmte tendenziell mit der Einschätzung überein und jetzt Nepomniachtchi trat wieder in Aktion. Er zentralisierte seine Dame und seine Leichtfiguren, was Ding dazu veranlasste, einen Turm für einen Läufer und einen Bauern zu opfern. Es folgte ein Damentausch und die Spieler fanden sich in einem alles andere als einfachen Endspiel wieder.

Während wir in der vorletzten Partie einen "ganz anderen Ian" (Sachdev) gesehen haben, war er diesmal in der Lage, mit klinischer Präzision durch das Mittel- und Endspiel zu navigieren, was einmal mehr seine Widerstandskraft unter Beweis stellte.

Nachdem es Nepomniachtchi geschafft hatte, mit seinem Turm die siebte Reihe zu infiltrieren, schlichen sich die ersten Anzeichen eines Gewinns für Weiß ein. Auf der Pressekonferenz erklärte er seine Absichten im Endspiel: "Ich dachte, es wäre richtig, die Türme zu tauschen, aber ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen."


Ding musste sich verteidigen, fand aber alle richtigen Züge, um das Endspiel zu halten. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Wenige Augenblicke später wurde der Turmtausch dann erzwungen, aber wie beide nach der Partie zum Ausdruck brachten, gab es danach kaum noch eine Chance, ohne ernsthaftes Risiko auf Sieg zu spielen. Erstickt von mächtigen c- und e-Bauern und unterstützt von Dings Springer, fand der weiße Turm keinen Weg in die schwarze Stellung und schon bald folgte eine dreifache Stellungswiederholung.

Großmeister Rafael Leitao erklärt uns die Partie:

Eine nervöse Partie, in der beide Spieler einige Chancen hatten. Ding hätte wahrscheinlich von der Stellung aus, die er nach der Eröffnung hatte, mehr Druck machen können. Aber somit wächst die Spannung vor der letzten klassischen Partie. Wird Ding aggressiv spielen, um die Partie und damit auch die Weltmeisterschaft mit Weiß zu gewinnen, oder geht er auf Nummer Sicher und sucht die Entscheidung im Schnellschach? Am Samstag werden wir es erfahren.

Und für alle, die sich die Partie lieber als Video ansehen, hat "The Big Greek" schon wieder fleißig gearbeitet:

Ding verriet in der Pressekonferenz, dass er sogar erwogen hatte, mit 36...Ke6 auf Sieg zu spielen, was sicher interessant gewesen wäre. Sein Grund, diesen Weg nicht einzuschlagen, war nach seinen eigenen Worten, dass er nicht "in einen dunklen Ozean springen wollte". In der letzten Partie hat er schließlich Weiß und mit dem psychologischen Momentum auf seiner Seite könnte das seine große Chance sein, die Weltmeisterschaft zu gewinnen.

Ist Ding auf dem Weg, der erste chinesische Schachweltmeister zu werden? Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Das Momentum war schon in vielen der denkwürdigsten WM-Matches ein Schlüsselfaktor und das Auf und Ab bei dieser WM erinnerte an viele der Epen wie das Match von Bobby Fischer gegen Boris Spassky aus dem Jahr 1972 oder die fünf Weltmeisterschaften zwischen Garry Kasparov und Anatoly Karpov aus den Jahren 1984-1990.

Unabhängig davon, ob das Momentum am Ende die WM entscheidet oder nicht, es hat und wird weiterhin Spannung in dieses aufregende Duell bringen. Da laut Caruana "ein Tiebreak sehr, sehr wahrscheinlich ist", könnte die FIDE Weltmeisterschaft im klassischen Schach auch im Schnellschach entschieden werden. Aus diesem Grund werden sich die Spieler am Ruhetag vor der letzten klassischen Partie auch sicher schon auf das Schnellschach vorbereiten.. Die Worte des ehemaligen Weltmeisters Kasparov könnten nicht treffender sein: "Die Fähigkeit zur Anpassung ist entscheidend für den Erfolg."

Am Samstag Abend werden wir vielleicht schon wissen, wer der 17. Schachweltmeister der Geschichte geworden ist. Unsere Live-Übertragung der letzten Partie ab 11 Uhr dürft Ihr auf keinen Fall verpassen!

Hier haben wir Euch noch eine Playlist mit YouTube-Videos über die WM zusammengestellt.

Der Spielstand nach 13 von 14 Partien

Name Elo 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 Punkte
Ding Liren 2788 ½ 0 ½ 1 0 1 0 ½ ½ ½ ½ 1 ½ . 6.5
Ian Nepomniachtchi 2795 ½ 1 ½ 0 1 0 1 ½ ½ ½ ½ 0 ½ . 6.5

Die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 ist das wichtigste Schach-Event des Jahres und entscheidet, wer der nächste Weltmeister wird. Ian Nepomniachtchi und Ding Liren spielen ein Match, um zu entscheiden, wer Carlsens Thron übernimmt, nachdem der aktuelle Weltmeister seinen Titel niedergelegt hat. Das Match ist mit 2 Millionen Euro dotiert und wird über 14 klassische Partien gespielt. Der erste Spieler, der 7.5 Punkte erzielt, gewinnt.


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