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Ding Liren gewinnt die vierte Partie und gleicht zum 2:2 aus
Ding Liren und sein Sekundant Richard Rapport. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Ding Liren gewinnt die vierte Partie und gleicht zum 2:2 aus

beccrajoy
| 1 | Berichterstattung von einem Schach-Event

Ein selbstbewusster Ding Liren gewann am Donnerstag die vierte Partie der FIDE Weltmeisterschaft 2023 und glich damit den Spielstand aus. Ding übte von Anfang an Druck aus, und gerade als Ian Nepomniachtchi auf Ausgleich zuzusteuern schien, unterlief ihm mit dem Zug 28...Sd4, welcher ein tolles Qualitätsopfer ermöglichte, der entscheidende Fehler. Danach brachte Ding den Sieg mit seiner soliden Technik sicher nach Hause.

Die fünfte Partie beginnt am Samstag, dem 15. April, um 11.00 Uhr

So könnt Ihr die FIDE Weltmeisterschaft 2023 ansehen:
Wir übertragen alle Partien der FIDE Weltmeisterschaft 2023 mit Kommentaren von Steve Berger und interessanten Gästen wie Jan Gustafsson und Fiona Steil-Antoni auf Chess.com/TV, Twitch und YouTube. Die englischsprachige Übertragung findet Ihr auf https://www.youtube.com/@chesscomlive
Hier seht Ihr die Aufzeichnung der Übertragung der vierten Partie:
Kommentatoren: Steve Berger und Jan Gustafsson

FM Mike Klein führte als Vertreter von Chessable den zeremoniellen ersten Zug aus und spielte 1.b3. Es war dann keine große Überraschung, dass Ding diesen Zug zurücknahm und sich stattdessen, obwohl der damit beim FIDE-Kandidatenturnier 2022 gegen Nepomniachtchi verloren hatte, für die englische Eröffnung entschied. Die Partie wich aber sofort von der Partie beim Kandidatenturnier ab und die Spieler erreichten eine Art Rossolimo-Stellung mit vertauschten Farben. Nepomniachtchi würde später sagen, dass er diese Stellung nicht ausdrücklich erwartet hatte.

Mike Klein making the ceremonial move 1.b3 as Ding, Nepomniachtchi and Tsatsalashvili look on smiling
Mike Klein brachte mit seinem Zug 1.b3 alle zum Lachen. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

In den nächsten paar Zügen deutete Nepomniachtchis Körpersprache darauf hin, dass er versuchte, sich an seine Varianten zu erinnern. Vielleicht dachte er dabei sogar bis an seine WM-Vorbereitung auf die WM 2021 gegen Magnus Carlsen zurück. Sein schnelles 9...Sf4 veranlasste Kommentator Anish Giri zu dem Verdacht, dass er seine Vorbereitung aufgrund ähnlich aussehender Varianten durcheinander gebracht habe und diese Spekulation wurde von Nepomniachtchi später bei der Pressekonferenz bestätigt.

Angesichts der Tatsache, dass Dings Sekundant Richard Rapport 2013 eine in den ersten 10 Zügen identische Partie gespielt hatte (Rapport-Zaragatski, 2013) und sich Ding für den genaueren Zug 11.0-0 statt Rapport Zug 11.h4 entschied, wurde allgemein angenommen, dass sich Ding noch weit in die Partie hinein in seiner Vorbereitung befinden musste. Nach der Partie sagte Ding jedoch, dass er nur bis 9...Sf4 in seiner Vorbereitung gewesen sei.

Mit einem gewaltigen Zeitvorteil konnte Ding vor dem Zug 13.Ld3 lange nachdenken und trotzdem einen Vorteil auf der Uhr behalten, was an sich schon eine dramatische Veränderung gegenüber den vorherigen Partien darstellte. Wie es so oft der Fall ist, führte das lange nachdenken laut der Partieanalysefunktion von Chess.com aber zu einem "Fehlschuss" und Nepomniachtchi fand die genaue Antwort von 13...Lg4.

Aber dann war Nepomniachtchi an der Reihe, mit 14...Sa5 das Sprichwort "Ein Springer am Rand, bringt Kummer und Schand" zu ignorieren und damit einen ungenauen Zug zu spielen. Es war aber ein absolut menschlicher Zug und hatte die Idee, den Zug c5 vorzubereiten. Obwohl Ding darauf nicht die beste Antwort fand (15.Da4) führte sein Zug aber dazu, dass er ein starkes Bauernzentrum bekam.

Als Ding sein Zentrum gefestigt hatte, zeigte Nepomniachtchi seine Klasse und entschied sich in einer unbequemen Stellung für den ruhigen Zug 18...b6. Die Kommentatoren argumentierten, dass der alte Nepomniachtchi den aggressiveren, aber schlechteren Zug 18...b5 gewählt hätte. Nach diesem Zug benötigte Ding über 15 Minuten, um sich in einer Stellung, in der es viele anständige Optionen für Weiß gab, für 19.h3 zu entscheiden.

In einer sehr komplexen Stellung mit mehreren möglichen Bauerndurchbrüchen, die bei jedem Zug zu berechnen waren, stieg der Druck auf beide Spieler. Nepomniachtchi begann bei seinem 20. Zug viel Zeit zu verbrennen, was aber aufgrund einer Stellung, in der selbst die Kommentatoren Schwierigkeiten hatten, spielbare Züge für Schwarz zu finden, verständlich war.

Nachdem er nach dem Zug 20.Le4 18 Minuten alle möglichen Bauerndurchbrüche durchgerechnet hatte und keine Gefahr erkannte, entschied sich Nepomniachtchi schließlich für den Zug 20...Te7.

Obwohl der Bewertungsbalken für Weiß nur einen leichten Vorteil anzeigte, bemerkten die Kommentatoren, dass dies die beste Stellung war, die Ding in der gesamten bisherigen Weltmeisterschaft auf dem Brett hatte. Ding muss das ebenfalls gedacht haben, denn jetzt verbrachte er immer mehr Zeit damit, den richtigen Weg nach vorne zu finden und seine Bedenkzeit fiel zum ersten Mal in dieser Partie unter die seines Gegners.

Nepomniachtchis Zug 23...f6 – ein Zug, den er nach der Partie als „unnötig“ bezeichnete – ermöglichte es Ding, 24.e6 zu spielen. Das hatte Nepomniachtchi aber in Kauf genommen, um seinen Springer über das Feld d6 zurück in die Partie manövrieren zu können. Gerade als die Kommentatoren fanden, dass der Druck von Weiß allmählich nachließ und die Partie auf ein Remis hinauslaufen könnte, spielte Nepomniachtchi denn den ungenauen Zug 25...Sf5.

Nepomniachtchi in the foreground at the board with Ding in the background
Foto: Maria Emelianova/Chess.com

Der Zug 25...Sf5 erlaubte Ding, sich auf den f4-Bauern von Schwarz zu konzentrieren und gerade als alle erwartet hatten, dass Nepomniachtchi seinen Bauern mit 28...g5 verteidigen würde - danach ist Schwarz immer noch stark im Spiel -, unterlief ihm mit dem Zug 28...Sd4 der einzig echte Fehler in der Partie. Während Nepomniachtchi die zweite Partie mit einem starken Qualitätsopfer gewonnen hatte, hatte jetzt Ding die Möglichkeit, sich mit einem starken Qualitätsopfer einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen und nach nur einer Minute und 15 Sekunden hatte er sich dafür entschieden und schlug den Springer auf d4.

Nach der Partie sagte Ding, er hatte ursprünglich geplant, 28...Sd4 mit 29.Dd3 zu beantworten, aber nachdem der Springer auf diesem Feld gelandet war, sah er den Killerzug: "Der wichtige Punkt ist, dass ich nach ...c5 d6 habe. Das ist sehr, sehr wichtig, weil er deshalb nicht nur den Bauern verliert, sondern mein Springer auf d4 auch wirklich stark ist."

Nepomniachtchi gab nach der Partie zu, dass er das Opfer komplett übersehen hatte.

Nach diesem einen Fehler war die Stellung für Schwarz komplett verloren, aber Nepomniachtchi spielte noch 18 Züge lang weiter und stellte Dings Technik auf die Probe. Glücklicherweise hatte Ding, nachdem er die Zeitkontrolle erreicht hatte, genügend Zeit, um die Partie ohne Schwierigkeiten zu verwerten. Als ihm sein Gegner dann die Hand reichte und zum Sieg gratulierte, herrschte auf dem Brett sogar Materialgleichheit – eine gute Erinnerung daran, dass Material im Schach nicht alles ist!

Napomniachtchi and Ding shaking hands at the end of the game
Nepomniachtchi gratuliert Ding zum Sieg. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Großmeister Rafael Leitao hat die Partie für uns analysiert.

GM Rafael Leitao GotD

Ein großartiger Sieg für Ding, der sein bestes Schach zeigte. Das Match ist wieder ausgeglichen und im Moment ist es unmöglich, vorherzusagen, wer der nächste Weltmeister werden wird.

Wie immer war auch Hikaru Nakamura fleißig und hat die Partie analysiert:

Und auch die Großmeister Fabiano Caruana und Cristian Chirila haben bereits ein Video über die Partie veröffentlicht:

Vor dem ersten Ruhetag war es Ding, der die Pause benötigte, um sich von einer harten Niederlage zu erholen. Jetzt ist es Nepomniachtchi, der die Pause begrüßt. Er sagte, dass er mit seinem Team besprechen wird, wie er mit dieser Niederlage umgehen soll und in Bezug auf seine WM gegen Carlsen: "Dieses Mal ist es anders. Dubai ist eine andere Geschichte." Seine Ruhetag-Routine aus Schlaf, Bewegung, Entspannung und Vorbereitung wird er sicher beibehalten.

Nepomniachtchi walking into the playing venue
Kann sich Nepomniachtchi von seiner Niederlage besser erholen, als 2021? Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Was auch immer Team Ding am ersten Ruhetag getan hat, hat eindeutig funktioniert, da sich sein Spiel und seine Nerven in den Partien drei und vier sichtbar verbessert haben. Nach eigener Aussage ist er nun "voll fokussiert" auf das Match und fühlt sich sowohl am Brett als auch bei den Pressekonferenzen viel wohler.

Er ist auch zurück ins St. Regis Hotel gezogen und bekommt sichtbare Unterstützung von seinem Team. Und obwohl er bei Pressekonferenzen offen über seine Gefühle sprach, war er in Bezug auf Informationen über seine Vorbereitung und sein Team weit weniger offen und ging Fragen nach weiteren Sekundanten und künftigen Eröffnungszügen aus dem Weg.

Rapport congratulating Ding
Rapport gratuliert Ding zu seinem Sieg. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.
Members of the Chinese Chess Federation sitting during the press conference
Mitglieder der chinesischen Delegation. Von links nach rechts: Tian Hongwei, Cindy Li und Jiangchuan Ye. Foto: Maria Emelianova/Chess.com.

Das Match befindet sich noch in den Anfängen und wenn man die ersten vier Runden betrachtet, liegt noch eine Menge aufregendes und unvorhersehbares Schach vor uns. Beide Spieler werden nach dem Ruhetag hoch motiviert zurückkehren und versuchen, die Führung zu übernehmen. Denn wer als nächster die Führung übernimmt, kann sich große Hoffnungen machen, der erste Schachweltmeister seit 2013 zu werden, der nicht Magnus Carlsen heißt.

Es bleibt abzuwarten, ob die Nummer 13 in diesem Match noch eine weitere Rolle spielen wird. Dings Sieg kam am 13. April, dem Geburtstag von Garry Kasparov, dem 13. Weltmeister zustande und Nepomniachtchi konnte in seiner insgesamt 13. WM-Partie einen Sieg feiern. Werden wir in der 13. Partie dieses Matches einen neuen Champion krönen? Wir werden es sehen.

Der aktuelle Spielstand

Name Rtg 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 Score
Ding Liren 2788 ½ 0 ½ 1 2
Ian Nepomniachtchi 2795 ½ 1 ½ 0 2

Die FIDE-Weltmeisterschaft 2023 ist das wichtigste Schach-Event des Jahres und entscheidet, wer der nächste Weltmeister wird. Ian Nepomniachtchi und Ding Liren spielen ein Match, um zu entscheiden, wer Carlsens Thron übernimmt, nachdem der aktuelle Weltmeister seinen Titel niedergelegt hat. Das Match ist mit 2 Millionen Euro dotiert und wird über 14 klassische Partien gespielt. Der erste Spieler, der 7.5 Punkte erzielt, gewinnt.


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